: Tiefes Misstrauen in London
Als ob Tony Blair mit dem Rücktritt Peter Mandelsons nicht schon genug Probleme hätte, kommt auch noch der deutsche Außenminister zu Besuch, der mit seinen europapolitischen Vorstellungen in Großbritannien auf wenig Gegenliebe stößt
von RALF SOTSCHECK
Der große Gewinner in der Affäre um den britischen Nordirland-Minister Peter Mandelson ist Schatzkanzler Gordon Brown. Die beiden Labour-Politiker sind verfeindet, seit Mandelson vor sieben Jahren Tony Blair bei dessen Kandidatur als Parteichef unterstützte. Brown hegte selbst Ambitionen auf diesen Posten und hofft noch immer, Parteichef und Premier Tony Blair eines Tages beerben zu können.
Mandelson trat vorgestern zurück, nachdem er zugeben musste, sich persönlich um den Einbürgerungsantrag des indischen Milliardärs Srichand Hinduja – er hatte Mandelson eine Million Pfund für den Millennium Dome gestiftet – gekümmert zu haben. Eine Wiederauferstehung wie nach seinem ersten Rücktritt wegen einer Finanzaffäre vor drei Jahren erscheint diesmal ausgeschlossen. Mandelson wird auch im Wahlkampf keine Rolle spielen – selbst sein Parlamentssitz ist gefährdet. Eine Lokalzeitung in seinem Wahlkreis Hartlepool machte gestern mit der Schlagzeile auf: „Wir haben genug!“ Das Blatt beruft sich auf eine Meinungsumfrage, bei der auch der Premierminister nicht gut wegkommt.
Blair habe einen schweren Fehler gemacht, als er Mandelson nur neun Monate nach dessen Rücktritt wieder ins Kabinett holte. Der Job als Nordirland-Minister sollte nur eine Bewährungsprobe sein, bei der nächsten Kabinettsumbildung im Frühjahr wäre Mandelson mit Sicherheit auf einen wichtigeren Posten befördert worden. Es war ein offenes Geheimnis, dass er mit dem Außenministerium liebäugelte. Nun hat Blair seinen engsten Vertrauten und proeuropäischen Vorreiter verloren.
Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt kam der deutsche Außenminister Joschka Fischer nach London, um sich eine Auszeichnung für die Förderung des deutsch-britischen Dialogs abzuholen. Seine Danksagung am Mittwochabend sei die proeuropäischste Rede gewesen, die je auf britischem Boden gehalten worden sei, stellte der Guardian fest. Dabei hatte Fischer sich noch zurückgehalten. Er war von der britischen Regierung gebeten worden, seine Worte sorgfältig zu wählen, um den europafeindlichen Medien, die Fischer für den „gefährlichsten Mann in Europa“ halten, keine Munition zu liefern.
Fischer sagte, die Euroskeptiker hätten eine falsche Vorstellung von den Entwicklungen in Europa: „Der Albtraum britischer Euroskeptiker, der so genannte Superstaat, der die alten Nationalstaaten und ihre demokratischen Regierungen ablösen solle, ist nichts weiter als eine synthetische Konstruktion, die nichts mit der europäischen Realität zu tun hat.“
Zur Erleichterung der britischen Regierung vermied Fischer das gefürchtete „F-Wort“: Föderalismus. Der Tory-Abgeordnete John Redwood, der zu den entschiedensten Europa-Gegnern gehört, sagte dennoch, Fischers Rede habe trotz einiger kosmetischer Veränderungen gezeigt, dass der deutsche Außenminister keine Reue zeige: Er sage Dinge, an die der britische Außenminister Robin Cook auch glaube, aber dem sei es zu peinlich, sie auszusprechen.
In Großbritannien stehen die Wahlen vor der Tür. Zwar hätte Premierminister Tony Blair noch ein Jahr Zeit, doch man erwartet den 3. Mai als Wahltag, weil die Tory-Opposition dermaßen desolat ist, dass sich Labour einen klaren Sieg erhofft. Selbst aus der Mandelson-Krise konnte Tory-Chef William Hague gestern kein Kapital schlagen. Bei der Europa-Frage könnte das anders aussehen, denn dieses Thema ist in Britannien der große Streitpunkt. Nachrichten über Kanzler Gerhard Schröders Vorstoß, die deutsch-französischen Beziehungen neu zu definieren und sich in der erweiterten EU für eine verstärkte politische Integration einzusetzen, lösen in England tiefes Misstrauen aus.
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