: „Die Bauern sitzen auf der Anklagebank“
Der Agrarexperte der Unionsfraktion, Heinrich-Wilhelm Ronsöhr, kritisiert die rot-grüne Hilfe für Großbetriebe
taz: Haben Sie bei der Rede von Renate Künast geklatscht?
H.-W. Ronsöhr: Nein.
Warum nicht?
Die Rede war wenig konkret. Sie hat eine Wende der Wende angekündigt, die durch die Agenda 2000 vollzogen wurde, um die Landwirtschaft stärker auf Weltmarktbedingungen ausrichten, was ich immer kritisiert habe. Wenn Künasts Programm davon eine Abkehr ist, würde ich das unterstützen.
Unterstützen Sie die Wende zur nachhaltigen Landwirtschaft?
Landwirtschaft setzt immer schon auf Nachhaltigkeit und denkt über Generationen hinweg. In den 60er- und 70er-Jahren gab es eine Diskussion, die stark auf kurzfristige Ziele in den Betrieben gerichtet war. Das haben wir aber überwunden.
Das hat uns trotzdem BSE eingebracht.
Alle sind doch davon ausgegangen, dass in den Milchaustauschern kein infektiöses Material war. Die Bauern haben gedacht, die Futtermittel seien sauber. Da sind Fehler gemacht worden, aber nicht von den Landwirten. Es gab vor allem fehlerhafte Kontrollen und kriminelle Energie.
Die Regierung will alle Gruppen zur Agrarwende ins Boot zu holen. Können Sie überhaupt noch Opposition machen?
Man muss darauf aufmerksam machen, dass Rot-Grün eine Steuerreform gemacht hat, die eindeutig Betriebe begünstigt, die flächenunabhängig sind und damit agrargewerblich. Wenn wir das gemeinsam rückgängig machen und die bäuerlichen Strukturen gleichstellen, dann würde ich sofort mitmachen.
Künast sagt, die Bauern verlieren nicht, sondern müssen nur anders produzieren.
Ein Mehr an Tierschutz darf nicht zu einem Weniger an Wettbewerbsfähigkeit führen. Der konventionell arbeitende Landwirt sitzt häufig auf der Anklagebank. Man darf auch nicht so tun, als handle der Verbraucher falsch, der im Supermarkt einkauft. Mir reicht es nicht, wenn die Agrarpolitik für zehn oder zwanzig Prozent der Betriebe gilt, die Rahmenbedingungen müssen für alle gestaltet werden. Eines machen wir nicht mit: Die konventionelle Produktion ins Ausland zu verdrängen.
Bauern sind Unionswähler. Werden Sie die Bauern gegen diese Agrarpolitik mobiliseren?
Die Bauern werden die agrarpolitischen Weichenstellungen beurteilen. Bisher wenden sich schon viele Bauern gegen Rot-Grün, weil die Wettbewerbsbedingungen erheblich verschlechtert wurden.
Haben Sie Angst, bei einer erfolgreichen Agrarwende Wähler an die Grünen zu verlieren?
Bei Agrarpolitik geht es nicht um Wählerstimmen. Viele Landwirte, auch Öko-Landwirte, vertrauen der CDU/CSU.
Die Probleme sind entstanden, als Sie Regierungsfraktion waren. Müssen Sie sich nicht auch an die eigene Nase fassen?
Wir hatten eine Agrarreform, die die Preise gesenkt, aber durch Ausgleichzahlungen den Produktionsdruck gesenkt hat.
Aber es wurde nur auf Preise geschaut, nicht auf Qualität
Aber der Produktionsdruck ist geringer, wir setzen viel weniger Pflanzenschutzmittel und Dünger ein, dazu hat die Union ihren Beitrag geleistet.
Sie kritisieren Rot-Grün für BSE, das zwischen 1985 und 1995 ausgebrochen ist.
1985 bis 1995 sind die aktuellen Fälle nicht entstanden.
Nicht die aktuellen, aber wer weiß, wie viele unentdeckte Fälle es gibt.
BSE ist in Großbritanien ohne deutsches Zutun entstanden. Wenn die Kontinentalsperre nicht gewirkt hat, dann hat die Kontrolle der EU-Kommission nicht funktioniert.
Warnungen gab es sehr früh.
Aber dann hätte die rot-grüne Regierung 1999 die Risikomaterialverordnung auf keinen Fall zurückziehen dürfen.
Aber die Versäumnisse liegen viel weiter zurück.
Aber wenn es Versäumnisse gab, hätte Rot-Grün 1999 die Risikomaterialverordnung sofort umsetzen müssen. Noch 2000 hat Staatssekretär Wille erklärt, BSE sei kein Problem in Deutschland. Gesundheitsministerin Fischer hat das allerdings anders gesehen.
Die Unions-Agrarpolitker haben sich nichts vorzuwerfen?
Wir alle haben BSE unterschätzt. Das gilt auch für die Unionsfraktion.
INTERVIEW: BERNHARD PÖTTER
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