: Wer wird Mieter?
63 Wohnungsbesichtigungen in zwei Monaten – der Markt ist zurzeit entspannt. Sehr hilfreich beim Suchen sind auch Makler ■ Von Peter Ahrens
Das ist die Aufgabe: Suche 2 Zimmer/Küche/Bad, 40-50 Quadratmeter in Altona, Eimsbüttel, St. Pauli, St. Georg. Die Wohnung darf nicht mehr als 1000 Mark warm kosten, sie sollte drei Essentials erfüllen: Badewanne, Balkon, Kabelfernsehen. Die Jagd ist eröffnet.
Das Übliche: Anzeige ins Abendblatt setzen, am Sonnabend Immobilien-Avis kaufen. Das erste bringt fünf Anrufe, das zweite kostet 50 Anrufe. Zum Ersten: Gute Angebote. 1050 Mark in Schnelsen, ein Zimmer in Eidelstedt, 25 Quadratmeter in Farmsen. Nicht ganz exakt das, was in der eigenen Annonce stand. Aber, man soll ja nicht überheblich sein.
Zum Zweiten: Wer erst Sonnabends zur Mittagszeit anfängt, hinter „2Z, E'büttel, Balkon, 750 DM warm“ her zu telefonieren, hat bestenfalls das Glück, ein raunziges „Ist längst weg“ zu ernten, meistens jedoch blockieren Hunderte andere die Telefonleitung. Aber es gibt ja auch Besichtigungstermine. Manchmal stimmen die sogar. Mit der Zeit lernt man Dinge: Zum Beispiel Wohnungsbesichtigungen am Wochenende als pure Ressourcenverschwendung zu schätzen. Alle, die suchen, haben dann Zeit. So werden Ideen für Wetten dass geboren: Wetten, dass sich 150 Leute auf einen halben Quadratmeter Balkon quetschen können? Sie können. Immer eine gute Gelegenheit, Bekanntschaften zu schließen. Du warst doch auch eben in der Fettstraße, und gehst du jetzt auch noch zur Lindenallee? Man sieht sich.
Größer sind die Chancen bei: Besichtigung Montags, 15 Uhr, Stresemannstraße, Kontakt über Makler. Da reduziert sich die Zahl der BewerberInnen auf 20. Gut, in den Wänden sitzt der Schimmel, vorne tobt die Rush Hour, hinten fährt die S-Bahn am Fenster vorbei, aber man lässt sich trotzdem in die Liste eintragen. Und Liste ist ganz wichtig. Die Maklerin nimmt regen Anteil: Seit wann haben Sie einen festen Job? Mögen Sie Katzen? Katzenliebende Arbeitslose haben beste Karten. Gegen die Selbstauskunft war die Volkszählung ein datenschutzrechtlicher Musterentwurf.
Ohnehin: Hier muss mal eine Lanze für den viel geschmähten Maklerberuf gebrochen werden. Menschen, die Vertrauen verdienen. Denen man gern drei Monatsmieten gibt, ohne Gegenleistungen zu erwarten. Freundlich, kompentent, mit Sinn für Überraschungen. Die einem eine Wohnung im fünften Stock zeigen mit Aussicht bis zum Hafen, um einem am nächsten Tag den zweiten Stock anzubieten, wo man immerhin das Karstadt-Parkhaus vor Augen hat. Nach zwei Monaten Suchen und 63 Wohnungsbesichtigungen ist der Blick so müd geworden, dass man trotzdem fast zusagt. Die Verzweiflung ist dermaßen schier, dass man sich auch Wohnungen an der Kieler Straße anguckt.
Der Wohnungsmarkt soll momentan relativ entspannt sein. Entspannendes einstündiges Warten im Treppenhaus, vor der Nase 30 Leute, hinterm Rücken 60 Leute, eine Schlange vom vierten Stock bis zum Eingang im Erdgeschoss. Man lernt zu hassen. Balkon und Badewanne sind längst auf der Strecke geblieben.
Tipps und Einflüsterungen von allen Seiten: Werd doch Mitglied bei den Genossenschaften, zahl doch 300 Mark für die Wohnungsvermittlung, zieh dich mal schicker an, wenn du auf Besichtigung gehst. Zahl die Maklergebühr, irgendwann hast du das Geld vergessen. Dann: Ruf doch mal bei der Wohnungsgesellschaft an. Die haben ein Objekt frei.
Einen Tag später ist alles klar. Wohnungssuche ist simpel.
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