: Aufwartung bei der Weltmacht
Offene Kritik an den Angriffen auf den Irak und dem geplanten Raketenabwehrsystem wird Joschka Fischer bei seinem US-Besuch nicht üben können
aus Washington PATRIK SCHWARZ
Joschka Fischer könnte sich heute beruhigt ins Flugzeug setzen – wenn es da nicht den vergangenen Freitag gegeben hätte. Zwei höchst unterschiedliche Ereignisse waren geeignet, die Freude des Außenministers auf seinen Antrittsbesuch in Washington zu trüben. In der Nähe von Bagdad zerstörten britische und amerikanische Kampfflugzeuge irakische Raketenstellungen, und in Berlin traf ein Brief der Frankfurter Staatsanwaltschaft ein, in dem Ermittlungen gegen Fischer angekündigt werden. So zufällig das Zusammentreffen ist, so deutlich wird im Licht beider Ereignisse, warum die rot-grüne Regierung sich mit George W. Bush und seiner Mannschaft um einiges schwerer tun wird als mit seinem Vorgänger.
Nicht dass es unter Bill Clinton keine Militärschläge gegeben hätte. Doch zu offensichtlich handelte es sich diesmal um einen demonstrativen Akt amerikanischer Stärke, zu direkt verstieß der Angriff gegen das rot-grüne Credo ziviler Krisenprävention. Vor allem aber beendet die Krassheit, mit der die Bush-Administration gleich zu Beginn ihrer Amtszeit auf die Überzeugungskraft von Bomben und Raketen setzt, eine Illusion aus der Clinton-Ära. Fischer und Schröder nahmen ihrem Mitte-links-Freund Bill immer gerne ab, dass er Gewalt nur als äußerstes Mittel einsetze – und irgendwie auch zum Wohle der Bombardierten.
Spätestens seit Freitag ist Joschka Fischer und seinem Team klar, wie sich der neue konservative Geist im Weißen Haus auf die Außenpolitik auswirkt. Fischers Verhalten in Washington wird ersten Aufschluss darüber geben, wie sich die Bundesregierung zu dieser Politik der Stärke verhält – und einiges spricht dafür, dass die Deutschen ihr Heil im stillen Dulden suchen.
Vergebens forderte der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) am Wochenende ein deutliches Signal der „Solidarität“ mit den US-Angriffen. Vergeblich beklagte die designierte Grünen-Vorsitzende Claudia Roth den Einsatz von Gewalt. Joschka Fischer, verantwortlicher Minister für rot-grüne Außenpolitik, mochte sich weder für die eine noch die andere Position entscheiden. Nach 36 Stunden verkündete das Auswärtige Amt schließlich, der Minister wolle sich in Washington erst mal „unterrichten lassen“.
Offene Kritik wird Fischer bei seinen Gesprächen mit US-Vizepräsident Cheney und Außenminister Powell kaum üben. Auch im politisch viel bedeutsameren Streit um das geplante US-Raketenabwehrsystem NMD verlegt sich die Bundesregierung darauf, ihr Missbehagen hinunterzuschlucken.
Nach deutscher Logik haben allein die Amerikaner das Recht zu entscheiden, wie kraftmeierisch sie auf der internationalen Bühne auftreten. Dezent lassen die rot-grünen Außenpolitiker dabei ihren Anspruch unter den Tisch fallen, für einen zivilisierteren Umgang der Nationen miteinander einzutreten.
Doch selbst mit einer stark gebremsten Kritik an NMD wird der deutsche Außenminister Schwierigkeiten haben, bei den neuen außenpolitischen Entscheidern in Washington durchzudringen. Das hat auch mit dem Brief der Staatsanwaltschaft Frankfurt zu tun. Zwar dürfte es der US-Regierung gleichgültig sein, ob der Gast einst eine Terroristin beherbergt hat und wie der Bundeskanzler als Juso-Vorsitzender über den US-Imperialismus schimpfte – aber diese Gleichgültigkeit hat politische Konsequenzen. Anders als Bill Clinton, der selbst gegen den Vietnamkrieg demonstrierte, sahen die führenden Köpfe der Bush-Regierung in den rebellischen Studenten immer schon den ideologischen Gegner.
Der Kanzler und sein Vize haben sich aus ihren frühen Jahren eine gesunde Skepsis gegenüber dem Kampfjet als Fortsetzung der Politik erhalten. Die Bush-Truppe dagegen, geprägt vom Kalten Krieg, glaubt an ein Dogma, das der neue Verteidigungsminister Rumsfeld vor kurzem auf den Satz brachte, „Schwäche provoziert.“ Entsprechend hält die US-Regierung das rot-grüne Anliegen einer zivilen Krisenprävention bestenfalls für Flower-Power-Kokolores. Die Bereitschaft, deutschen Bedenken Rechnung zu tragen, dürfte gegen Null gehen.
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