piwik no script img

Eine Schule fürs EU-Leben

Für die Kids der Brüsseler Elite gibt es drei Europaschulen. Wer sie besucht, lernt nicht nur viele Sprachen, sondern auch den Umgang mit dem EU-Alltag

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Vor einigen Tagen schickten die Elternvertreter der drei Brüsseler Europaschulen per E-Mail einen Brandbrief los: Im Januar 2004 werde die EU-Erweiterung tausend neue Schüler nach Brüssel bringen. Sie hätten Rechtsanspruch auf einen Platz, weil ihre Eltern für die EU arbeiten. 2007 werde es in Europas Hauptstadt 9.000 berechtigte Schüler geben, von denen die drei existierenden Schulen aber nur 7.200 verkraften könnten.

Zugleich werden im Obersten Rat der Europäischen Schulen Sparpläne diskutiert. Die zusätzlichen Betriebskosten, die zu 65 Prozent die Kommission, zu 35 Prozent Mitgliedsstaaten und Eltern tragen müssen, sollen durch Einsparungen im Betrieb der Schulen erwirtschaftet werden. Künftig sollen sich statt fünf sechs Oberstufenschüler auf einen Kurs verständigen müssen, damit er zustandekommt. Sechs Schüler pro Lerngruppe – aus der Perspektive eines deutschen Gymnasiums sind das noch immer Luxusbedingungen. Für eine Schule, in der Kinder mehrerer Muttersprachen gemeinsam unterrichtet werden, hat es aber die praktische Folge, dass zum Beispiel Physik-Leistungskurse in Griechisch oder Niederländisch nicht mehr stattfinden. Die Schüler müssen sich einer englischen oder französischen Gruppe anschließen. Deutsche Eltern, die beklagen, dass es in Brüssel pro Jahrgang zwei englische und französische Klassen gibt, aber nur eine deutsche, werden gern daran erinnert, dass Berlin mit seinem ständigen Hinweis, sparen zu müssen, immer wieder wichtige Projekte blockiere.

So sorgt die große Politik in jedem Elternbeirat für heftige Debatten, und auch sonst ist der Euroschul-Mikrokosmos eine EU im Liliputformat: In der Schülerredaktion von Brüssel 3 etwa arbeiten fünf deutsche und zwei englische Schüler mit, jedoch kein einziger Franzose. Dennoch dürfen die Artikel nur in Englisch und Französisch erscheinen, da das die offiziellen Verkehrssprachen der Brüsseler Schulen sind. Die deutschen Redakteure sind darüber empört und spielen, ohne es zu ahnen, den Sprachenstreit ihrer Diplomateneltern nach.

Die Idee für eine Schule, in der Kinder verschiedener Nationen gemeinsam lernen, entwickelte Jean Monnet, einer der Gründungsväter der Union. Statt französische oder deutsche Kinder der Mitarbeiter der Gemeinschaft für Kohle und Stahl mit dem Bus in Schulen ihrer Heimatländer zu schicken, wurde 1957 in Luxemburg die erste Europaschule gegründet. Sie erhielt ein eigenes Statut und durfte ein speziell entwickeltes europäisches Abitur vergeben.

Mitarbeiter der EU-Kommission, des Europäischen Patentamts und des EU-Parlaments können ihre Kinder kostenlos in einer der inzwischen neun Europäischen Schulen unterbringen. „Nichtberechtigte“ müssen sich um einen Platz bewerben und dafür Schulgeld bezahlen: 4.000 Mark im Jahr fürs erste, 2.000 Mark für jedes weitere Kind. Aber in Brüssel, wo viele gemischte Familien leben, die ein multinationales Lernumfeld wollen, sind die Wartelisten lang. Kinder aus anderen Milieus oder aus Familien, die in der Stadt verwurzelt sind, würde den Schulen gut bekommen.

Doch so bleiben die Euro-Kids unter sich. In Varese oder Karlsruhe dagegen, wo die Klassen mit Eurokraten allein nicht zu füllen wären, werden „Nichtberechtigte“ mit offenen Armen aufgenommen. Schon früh stellen die Schüler ihren Stundenplan nach eigenen Interessen zusammen, beginnen bereits in der Grundschule mit der ersten Fremdsprache und mit zwölf Jahren mit der zweiten. Ihr Spanisch oder Griechisch lernen sie von Muttersprachlern und sitzen dabei mit Kindern anderer Nationalitäten zusammen. Die Lehrer werden von den nationalen Schulbehörden entsandt – oft ist weniger die Qualität ihrer pädagogischen Arbeit als das richtige Parteibuch entscheidend. Die Lehrbücher bringen sie gleich von zu Hause mit, es gibt keinen einheitlichen Stoff über Sprachgrenzen hinweg. So hält sich der britische Geschichtslehrer zwei Wochen bei der Schlacht von Hastings auf, während im französischen Unterricht länger über Napoleon geredet wird – die Herausforderung, einen europäischen Blick auf die Geschichte zu werfen, haben die Lehrplanverantwortlichen bis jetzt nicht bewältigen können.

Im Umgang mit den unterschiedlichen Sprachen und Mentalitäten entwickeln die Schüler erstaunliche Gelassenheit – und Überlebenstechniken. Exakte Stundenplanangaben erfragen sie lieber bei der deutschen Lehrerin, die Beurlaubung holen sie sich beim spanischen Kollegen. Wer die Europaschule schafft, ist für ein Leben in Europa wie geschaffen. Schade nur, dass die Hüter der Kulturbudgets lieber in ein Europäisches Jahr der Sprachen investieren als in Europaschulen für alle Kinder Europas.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen