Belastende Entlastung

Der Berliner Filmkritiker Frank Noack hat eine umfangreiche Biographie über Veit Harlan verfasst. Mit erstaunlichen Ergebnissen: „Jud Süß“ spricht da gegen eine antisemitische Haltung des Regisseurs

Keine Absolution der Person, wohl aber eine Ehrenrettung des Künstlers Harlan

von CRISTINA NORD

Bei Freud geht die Geschichte so: A. hat sich von B. einen Kessel geliehen. Als er das gute Stück zurück gibt, hat es ein Loch. Zu seiner Verteidigung bringt A. Folgendes vor: Erstens habe er nie einen Kessel geliehen. Zweitens habe der Kessel bereits ein Loch gehabt, als er ihn geliehen habe. Drittens weise der Kessel zum Zeitpunkt der Rückgabe keinen Makel auf.

In Frank Noacks umfangreichem, akribisch recherchierten Buch „Veit Harlan. Des Teufels Regisseur“ geht es ähnlich zu wie bei Freud. Harlan, der im Berlin der Weimarer Republik als Bühnenschauspieler und -regisseur nicht eben reüssierte, kam als Regisseur von Nazi-Propagandafilmen wie „Jud Süß“ und „Kolberg“ zu fragwürdigem Ruhm. Nach Kriegsende erlitt seine Karriere einen Einbruch, „Jud Süß“ darf noch heute nicht öffentlich gezeigt werden. An Harlans Person entzündete sich damals eine moralische Empörung, in der eine gute Dosis Heuchelei steckte. Der Filmemache büßte stellvertretend dafür, dass Künstler dem Nationalsozialismus zugearbeitet hatten. Manche seiner Angreifer ließen ihn für die eigenen Verfehlungen einstehen.

Dem Berliner Filmkritiker Noack liegt viel daran, Harlan gegen Verfemung in Schutz zu nehmen. Zwar zielt er nicht auf eine Absolution der Person, wohl aber auf eine Ehrenrettung des Künstlers. Zu diesem Zweck trägt er so viel entlastendes Material zusammen, dass es sich zu widersprechen beginnt. Immer wieder werden die zahlreichen jüdischen Freunde Harlans angeführt, wird betont, dass auch andere Regisseure wie Eisenstein und Griffith Propagandafilme mit rassistischer Tendenz gedreht hätten, ohne deswegen an Ansehen zu verlieren. Als könnte sich jemand vom Rang eines Antonioni nicht täuschen, erwähnt Noack, dass der italienische Regisseur „Jud Süß“ gelobt habe (wobei er das Lob später eingeschränkt haben soll).

Schließlich sei Harlan noch zu dem Zeitpunkt, als er „Jud Süß“ drehte, dazu genötigt worden, seine „arische“ Herkunft nachzuweisen. Dabei habe der Filmemacher, so schreibt Noack, „Jud Süß“ wegen dessen eindeutiger Ausrichtung gar nicht drehen wollen. Da er sich Goebbels’ Weisungen nicht habe entziehen können (das entsprechende Kapitel ist konsequenterweise mit „Die Falle“ überschrieben), habe er die Regie nolens volens übernommen und das Drehbuch entschärft: „Er eliminierte Zwischentitel wie ‚Der Jude saugt das Land aus‘, die das Drehbuch von Möller und Metzger enthielt, und die von ihm erdachte Vergewaltigungsszene, die die Lynchstimmung gegen Jud Süß erzeugt, spricht eher gegen seine antisemitische Haltung.“ Noack zufolge schafft die entsprechende Szene eine Legitimation für das Todesurteil: Nicht weil er Jude ist, würde Jud Süß demnach gehenkt, sondern weil er eine Frau vergewaltigt hat.

Dass der jüdischen Figur sexuelle Zügellosigkeit und Machtmissbrauch zugeschrieben werden, bleibt unbeachtet, ebenso die filmische Umsetzung des Stereotyps: Harlan lässt die Vergewaltigungsszene in einer demagogischen Parallelmontage aufgehen. Während sich Jud Süß (Ferdinand Marian) an der blonden Unschuld Dorothea (Kristina Söderbaum) vergeht, wird deren Verlobter in einem Verlies gefoltert – und zwar auf Geheiß von Jud Süß.

Auch im Fall von „Anders als du und ich“ (1957) neigt Noack dazu, von der Regie unabhängige Instanzen für die fragwürdige Ausrichtung des Films verantwortlich zu machen und diese Ausrichtung zugleich zu bagatellisieren. Die homophoben Tendenzen des Films – die schwulen Figuren werden durch Beleuchtungseffekte und angeschrägte Kameraperspektiven dämonisiert – hätten mit Harlans Absichten wenig zu tun; die FSK habe dessen progressiven Ansatz nicht zugelassen und eine Nachbearbeitung des fertigen Films durchgesetzt. Dieser Nachbearbeitung seien die Szenen zum Opfer gefallen, in denen Homosexualität in einem positiven Licht erscheint. Nichtsdestotrotz kommt Noack zu dem Fazit: „ ‚Anders als du und ich‘ war ein wichtiger erster Schritt, noch mit Fehlern behaftet, aber ein positives Signal.“

Mit der Fülle der Rechtfertigungen schießt Noack über sein Ziel hinaus – zumal ihm nicht nur daran liegt, Veit Harlan als Künstler vorzustellen, sondern auch daran, den Casus Harlan wider eine als dogmatisch und moralinsauer empfundene Filmkritik und -geschichtsschreibung in Stellung zu bringen. Das schmälert das unleugbare Verdienst des Buches. Es ist ja durchaus an der Zeit, dass Harlan vom Status der Persona non grata befreit wird, damit sich der Blick für seine Filme und deren Ambivalenzen schärfen kann. In diesem Sinne leistet Noack viel: Wenn es etwa um die Melodramen wie „Immensee“ und „Opfergang“ und deren Überschuss an Emotionalität geht oder wenn sich der Autor ausführlich und kenntnisreich der Filmmusik zuwendet, weckt seine Analyse mindestens eines: Neugier.

Vielleicht liegt das Problem in der Kategorie der Schuld, auf die Noack – wie Harlan in seinen Filmen – immer wieder zurückkommt. Schuld und Kunst bilden dabei ein diffuses Gegensatzpaar: „Der schöpferische Instinktmensch Harlan hat mehr als Fehler begangen. Dafür ist er bestraft worden, aber er hat als Künstler auch etwas Besonderes erreicht – nämlich ein Original zu sein. Es gibt niemanden, als dessen Epigonen man ihn bezeichnen könnte, und niemanden, in dessen Schatten er steht, es sei denn im Schatten seiner Schuld.“ Demnach sind Harlans Ästhetik und Narrative, sind seine suggestiven Bilder und demagogischen Montagen, sein Irrationalismus und seine triebgesteuerten Figuren eine genuine Erscheinung. Noack kontextualisiert nicht, sondern bemüht die Figur des autonomen Schöpfersubjektes. Anstatt zu ihrem Ende zu kommen, müsste seine Analyse genau hier einsetzen.

Frank Noack: „Veit Harlan. Des Teufels Regisseur“, Edition Belleville, München 2000, 484 S. m. zahlr. Abb., 78 DM