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„Die Wirtschaft ist immun gegen Gefühle“

■ Im Interview: Elsa Werner von der Jüdischen Gemeinde über die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern

taz hamburg: Eine US-amerikanische Richterin hat Ende Januar die Abweisung der Sammelklagen von NS-Zwangsarbeitern verweigert. Die deutsche Wirtschaft wirft ihr nun vor, dadurch deren Entschädigung zu verzögern. Zu Recht?

Elsa Werner: Im Gegenteil: das Urteil hat wieder Bewegung in die Debatte gebracht, die längst ins Stocken geraten war.

Finden Sie die Entscheidung richtig?

Das Urteil ist gut. Es weist darauf hin, welche Rechtsunsicherheit für die Zwangsarbeiter besteht. Die Unternehmen haben die Bedingung gestellt, dass erst Rechtssicherheit für sie geschaffen werden muss, ehe sie zahlen. Und selbst haben sie ihre fünf Milliarden Mark für die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ immer noch nicht aufgebracht und ihre Verpflichtung damit nicht erfüllt. Sie verweigern Rechtssicherheit für die Zwangsarbeiter und fordern diese im Gegenzug für sich selbst. Die Richterin hat das zurechtgerückt.

Aufgrund der Sammelklagen gründeten Bundesregierung und Wirtschaft vorigen August die Stiftung. Plötzliche Einsicht des Unrechts?

Ohne Nutzen für die Wirtschaft wäre es nie dazu gekommmen. Die Kläger in den USA hatten für die einzelnen Betroffenen 100.000 Dollar verlangt. Die Wirtschaft wollte von diesen Sammelklagen wegkommen. Das war der einzige Grund, sich auf die Stiftungsinitiative einzulassen. Es geht weder um Moral noch um Recht.

Kommen die Zwangsarbeiter trotzdem zu ihrem Recht?

Was die Unternehmen jetzt anbieten, sind noch nicht einmal Peanuts. Wenn es nicht um die Menschen ginge, die das Geld dringend brauchen, müsste man sagen: Lasst es bleiben. Das Stiftungsgesetz ist ein großes Entgegenkommen der Verfolgten, die Sammelklagen eingereicht hatten. Für die Gemeinschaft der Zwangsarbeiter verzichten sie auf Leis-tungen ganz anderen Umfangs.

Fürchten Sie, dass die Wirtschaft die Annahme der Peanuts als Absolution versteht?

Da die Unternehmer kein Schuldempfinden haben, kann man ihnen auch keine Absolution erteilen.

Wurde der Topf nicht vergrößert, weil auch die Firmen zur Zahlung aufgefordert sind, die während des Nationalsozialismus keine Menschen ausbeuteten?

Mit der Ausweitung hat die Wirtschaft vor allem erreicht, dass der Begriff der Entschädigung aufgeweicht wurde. Die Verfolgtenorganisationen wollten sich nur an die Firmen wenden, die an Zwangsarbeitern verdient haben.

Warum?

Jetzt ist die Entschädigung nicht mehr eine Leistung, die aus der Beschäftigung von Zwangsarbeitern resultiert. Jetzt bekommt die Zahlung einen sozialen Charakter, Almosencharakter. Es ist das Gleiche, als wenn Banken Kunstausstellungen fördern, um ihr Image zu verbessern.

Wäre der Kreis nicht ausgeweitet worden, hätten womöglich viele Firmen nicht gezahlt, weil sie sich damit zu ihrer Schuld bekannt hätten.

Die Wirtschaft ist immun gegen Gefühle wie Schuld. Das Widerlichste ist, dass alle Unternehmen ihre Zahlung von der Steuer absetzen können. Letztendlich zahlen sowieso nicht sie, sondern wir alle.

Die Hamburger Handelskammer fordert Betriebe mit dem Argument zum Stiftungsbeitritt auf, dass sie dadurch das Ansehen der deutschen Wirtschaft im Ausland verbessern.

Ich weiß nicht, ob man dagegen etwas haben kann. Wer einen Imageschaden fürchtet, bejaht, dass die deutsche Wirtschaft Schuld auf sich geladen hat und der nicht gerecht geworden ist.

Was halten Sie davon, zahlungsunwillige Firmen zu outen?

Es wurden Listen veröffentlicht, auf denen auch Betriebe standen, die nicht zu den Schuldnern der Zwangsarbeiter gehören. Das war ein Fehler. Es hat dazu beigetragen, dass die Schuld umorganisiert wurde.

Und wenn, wie beispielsweise von der Hamburger Regenbogen-Gruppe, die Namen von Firmen veröffentlicht werden, die nachweislich mit Zwangsarbeitern Geld verdienten?

Das finde ich richtig. Man muss die Profiteure benennen.

Glauben Sie trotz aller Verzögerungen daran, dass noch eine große Zahl von Zwangsarbeitern für das Erlittene entschädigt wird?

Da das Motiv das Ansehen und damit die Gewinnchancen der deutschen Unternehmen sind, wird ein Weg gefunden werden, um das Stiftungsgesetz in die Tat umzusetzen. Das ist jetzt nicht mehr zurückzudrehen. Welches Ansehen würde die deutsche Wirtschaft dann erst in der Welt haben? Das kann und will man sich nicht erlauben.

Interview: Elke Spanner

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