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Letzte Würde für perfekte Menschlein

■ Eine Beerdigung soll Eltern tot geborener Kinder einen Ort für die Trauer geben

Bettchen, Windeln und Lätzchen hatte sie schon gekauft. Dann diagnostizierte der Arzt „Placentainsuffizienz“ bei Bettina D. (39) - ihr Mutterkuchen ernährte den Foetus nicht ausreichend. Vier Tage vor dem errechneten Termin brachte die Mutter ein totes Baby zur Welt. „Es war die schrecklichste Zeit meines Lebens“, erzählt Frau D. heute. Sie gründete eine Selbsthilfegruppe für betroffene Eltern in Gütersloh. Ein Ziel der „Initiative Regenbogen“: tot- und fehlgeborenen Foeten eine würdige Bestattung zu ermöglichen.

Genau das wird demnächst in Bremen möglich sein. Erstmals in einem Bundesland haben sich alle Krankenhäuser darauf geeinigt, für „verwaiste“ Eltern Grabstätten zur Verfügung zu stellen. „Die anonymen Gräber sollen Vater und Mutter helfen, Ohnmacht und Kummer dieses Traumas zu verarbeiten,“ sagte Annette Brase, Oberärztin in der Frauenklinik „Links der Weser“, gestern bei der Vorstellung der neuen Regelung. Eins von zehn Kindern in Bremen wird tot geboren. „In Bremen gibt es 1.100 Totgeburten im Jahr. Die Dunkelziffer ist höher, da die Toten bei ambulanten Geburten nicht erfasst werden“, betont Brase. „Selbst als Ärztin weiß ich häufig nicht, wie ich den Eltern helfen soll. Oft bleibt nichts als mitzuweinen.“

Bislang gilt bundesweit für Foeten und Embroyonen aus Schwangerschaftsabbrüchen erst ab 1.000 Gramm Geburtsgewicht eine Bestattungspflicht. Kinder unterhalb dieser Grenze gelten als „ethischer Sondermüll“, sagt Pastor Heinrich Stenzaly. Nach dem Embryonenschutzgesetz sind sie allerdings nach der Verschmelzung von Eizelle und Samen schon „Mensch“. Tatsächlich werden die Kinder zusammen mit Geweberesten und Körperteilen verbrannt. Brase: „Dabei sind sie in der 20. Woche schon ein fertiges, perfektes Menschlein.“ Dann ist der Foetus rund 450 Gramm schwer, 25 Zentimeter groß, bis auf die Lungen relativ weit entwickelt.

Demnächst sollen in Bremen vier Mal im Jahr überkonfessionelle Trauerfeiern für „verwaiste“ Eltern stattfinden, kündigte Stenzaly, Leiter des katholischen Krankenhaus-Pfarramtes, an: „Die Kinder haben die gleiche Würde wie jeder Mensch. Deshalb steht ihnen auch ein Begräbnis zu.“ Außerdem bekommen Eltern im Fall der Fälle auch eine Geburtskarte mit Namen, Hand- und Fußabdruck des Kindes in einem geschlossenen Briefumschlag überreicht. Nicht jeder muss das Angebot wahrnehmen. Aber jeder soll in Bremen eine Möglichkeit haben, einen Ort für seine Trauer zu finden. ksc

Betroffene finden Rat unter www.initiative-regenbogen.de

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