: Der Mohr hat Chlor im Ohr
Von der Deutschlehrerlyrik und vom Dichten weiß Jan Kaiser einiges zu berichten
Jemand hat Licht brennen lassen In der Wohnung, die ich früher Besaß. Jemand lacht in meiner Wohnung. Oder ist es ein Weinen, Das sich hinter kaltem Rauch Von Zigaretten verkleidet?
Das ist ein Gedicht von Karl Krolow, Jahrgang 1915. Sein Poem „Jemand“ musste ich im Deutschunterricht buchstabenweise zerpflücken und weiß bis heute nicht, ob es ein Lachen oder ein Weinen hinter kaltem Rauch von Zigaretten war in der Wohnung, die er früher besaß. Ihm wird es mittlerweile auch egal sein. Er ist sehr wahrscheinlich im Himmel, und da darf man weder weinen noch rauchen.
Deutschlehrerlyrik. Ordinäre Alltagsfloskeln, die mittels beliebigen Zeilenumbruchs den Anschein großer Kunst erwecken sollen. Meine Zunge wird jetzt noch ganz pelzig, wenn ich daran denke, wie wir den Schrott laut und andachtsvoll in den Klassenraum hineinlesen sollten. Meine Forderung lautet deshalb klipp und klar: Wenn sich ein Vers weder hinten noch vorne reimt, dann muss er wenigstens komisch sein. Am besten beides.
Diesem Dogma selbst nachzukommen ist jedoch nicht einfach. Schüttelreime zum Beispiel: Man suche sich zwei dreisilbrige Wörter, die, wenn man die ersten Buchstaben der ersten und dritten Silbe vertauscht, das jeweils andere Wort ergeben. Beliebt in der Praxis sind etwa: „Ich geh jetzt in den Birkenwald, / denn meine Pillen wirken bald“ oder „Beim Mahle sprach der Kaiser laut, / ich bitte, dass man leiser kaut“. Gern genommen wird auch: „Auf dem schönen Tegler See, / kocht der brave Segler Tee“. Und in Nordrhein-Westfalen war „Ein Hund, der bellt in Bielefeld, / der gerade so wie viele bellt“ ein großer Erfolg.
Wir üben das jetzt mal in guter Deutschlehrermanier: „Es sprach der König Zitterbart, / bringt Schokolade ...“ – na? Bitte, das ist jetzt wirklich erste Klasse. „Z-itter-b-art“!!! Also? „Bitter zart“. Wer sagt’s denn.
Der Nächste. Das Niveau steigt. „Stärke deine Männerbrust, / wenn du noch übern ...“ – und weiter? Hapert wohl noch ein bisschen, was? „M-änner-br- ust“? Richtig: „Brenner musst“. Hier mussten tückischerweise die beiden letzten Buchstaben der dritten Silbe nach vorne gezogen und das „ä“ in ein „e“ sowie das „s“ in ein Doppel-„s“ transformiert werden. Wer das verkannt hat, landete bei „Bännermrust“, und das ist überhaupt nicht witzig. Was beweist, dass Schüttelreimen lyrisches Hightech ist.
Nun die Abschlussprüfung (wer eben „Bännermrust“ geschüttelt hat, darf hier nicht mehr weiterlesen!): „Morgens, wenn die Mary scheißt, / trink ich meinen ...“!!! Ich verzichte auf die Auflösung dieses Reimes. Wer jetzt grinsen kann, hat die Prüfung bestanden.
Aber lassen wir das. Schüttelreime sind frustrierend. Seit Monaten etwa versuche ich „Samendrang“ und „Dramen sang“ sinnvoll zusammenzubringen. Bisher ist mir nur „Er litt sehr unter Samendrang, / weil er stets Wagners Dramen sang“ eingefallen, aber das ist schlichtweg geschmacklos.
Wenden wir uns also dem gemeinen Hausreim zu. Am Ende soll es gleich klingen, immer schön a-a, b-b und c-c, das Ganze schön derb und lustig, wenn es geht eine kleine Pointe am Ende. Tiere werden gern genommen. Man muss ihnen nur noch einen Namen verpassen, die Handlung ist nebensächlich: „Blitze zuckten, Donner grollten, / und durch das dunkle Dickicht rollten, / zwei Igeltiere, Ralf und Reiner, / doch gesehen hat sie keiner“. Na ja, vielleicht sind Menschen doch besser. Ein Gedicht über Menschen wie du und ich, Menschen aus der Menge, die selbst reimen. Für wen? Für ihren Großwesir ...
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