: Lehrer zum Abschalten
Bunt und aufregend: Telelearning macht Spaß, vor allem männlichen Gymnasiasten. Hauptschülerinnen müssen dagegen aufpassen, dass sie den Anschluss nicht verpassen
von HOLGER KLEMM
„Bin ich schon drin?“ Die Frage ist falsch gestellt. Richtig muss sie heißen: „Bin ich noch ,in‘, wenn ich nicht ‚drin‘ bin?“ Die Welle des E-Learning hat viele Lehrer ins Schleudern gebracht. Jetzt müssen sie einiges nachholen, um mit dem Technikwissen ihrer Schützlinge zumindest halbwegs mithalten zu können. Um nicht „out“ zu sein, greifen Lehrer schnell auf fertige Lernsoftware zurück.
Ist das ein Fortschritt? Es kommt ein Medium ins Spiel, mit dem die Pädagogen nur wenig vertraut sind. Gewiss, Unterrichtsinhalte lassen sich mit fertigen Programmen gut vermitteln. Sie sind bunt und aufregend – ansprechender als kopierte Lernblätter. Aber: Über selbst erstellte Schaubilder kann der Lehrer mit den Schülern reden. Kinder und Jugendliche hingegen aus einem Überangebot von virtuellen Informationen heraus- und vom Rechner wegzureißen wird für Pädagogen schnell zu einem Ding der Unmöglichkeit.
Telelearning bietet eindeutige Vorteile. Unabhängig von Raum und Zeit kann gut aufbereitetes Fachwissen didaktisch vermittelt werden. Jeder kann sich mit dem ihm eigenen Lerntempo das ihm als wichtig erscheinende Wissen aneignen. Die Kehrseite ist, dass die vorab benötigten technischen Kenntnisse, die Kosten für Computer und den Internetzugang sowie der Beratungsbedarf zum effektiven Nutzen der Angebote wesentlich höher sind als bei herkömmlichem Lernen in Schule und Ausbildung.
Auch Firmen nutzen E-Learning immer häufiger zur Mitarbeiterfortbildung. Die Ausfallzeiten gehen gegen null. Das Seminar im Netz kann man ja auch nach Feierabend nutzen. Frauen im Erziehungsurlaub können sich in der Zeit ebenfalls zu Hause per Mausklick fortbilden.
Wenn private Bildungsinstitute überwiegend auf netzbasierte Angebote setzen, benötigen sie eine Genehmigung der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU). Die ZFU checkt die Verträge, die Ausschreibungen und prüft, ob es realistisch ist, die gesteckten Ausbildungsziele über Telelearning erreichen zu können. Notfalls muss nachgebessert werden. Außerdem wird eine Evaluation des Bildungsgangs verlangt.
Eine Studie des Berliner Instituts für Sozialforschung, Informatik & Soziale Arbeit (ISIS) vom vergangenen Jahr wiederlegt zwar die These, dass Internetuser sozial isoliert sind. Aber sie macht eine Schieflage deutlich. Mädchen sitzen wesentlich seltener vor dem Rechner als Jungs. Nur ein Viertel der Probanden, die sich an dem internetbasierten Teil der Studie beteiligten, war weiblich. Daraus schließt man, dass sie auch weniger Erfahrung im Umgang mit den neuen Medien vorweisen können. Das hat Auswirkungen auf ihre Berufschancen.
Noch stärkeren Einfluss als das Geschlecht hat die soziale Herkunft. Hauptschüler haben nur zu 68 Prozent einen eigenen Rechner in der Wohnung stehen, Abiturienten zu 91 Prozent.
Rechner wie auch Internet werden vornehmlich zu Hause genutzt. Die Schule liegt im Mittelfeld. Ganz am Ende der Skala erst kommen Jugendfreizeiteinrichtungen, die eher von Hauptschülern als von Gymnasiasten besucht werden. Es besteht die Gefahr, dass sozial Schwache auch bei den neuen Medien ganz schnell alt aussehen. Noch ist nicht klar, ob Initiativen wie „Schulen ans Netz“ oder eine bessere technische Ausstattung von Jugendclubs den Trend stoppen können.
In der Ausbildung benachteiligter Jugendlicher hingegen wird Telelearning zunehmend als Chance erkannt. Wer sich im Netz sicher fühlt und Erfahrung mit Webdesign hat, muss sich keine großen Sorgen machen wegen mieser Noten in anderen Fächern. Anders als bei handwerklichen Ausbildungen ist es im Medienbereich irrelevant, ob auf dem Zeugnis in Physik eine Eins oder eine Fünf prangt.
Wenn es Schule und Ausbildung schaffen, die neuen Medien wirklich als Medien, als Mittler, einzusetzen, dann kann das überraschende Folgen haben. Schüler interessieren sich auf einmal für Rechtschreibung und Grammatik. Denn wenn sie im Chat-Café ständig Schreibfehler machen, dann mindert das ihren Status. Das weckt das Bedürfnis nach korrekter Schreibe.
Und noch etwas beobachten Pädagogen: Sie erleben am Computer Kinder und Jugendliche, denen Lernen Spaß macht. Wie weit der Spaß schon Teil einer Sucht ist, wurde von ISIS nicht untersucht.
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