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„Aufs Gleichgewicht kommt`s an“

In Frankreich ist zwar die Maul- und Klauenseuche angekommen, nicht aber die große Panik. Händler, Köche und Kunden vertrauen auf die „beste aller Küchen“ und die einheimischen Qualitätskontrollen. Vegetarisch essen ist nicht angesagt

aus Paris DOROTHEA HAHN

Angst? Der Käsehändler in der Rue des Martyrs in Paris grinst. „Wovor? Meine Käse stammen ausnahmslos aus kontrollierter Produktion.“ Weniger Kunden? Der Hühnchenbräter in der Rue St. Lazare lacht: „Irgendetwas müssen die Leute doch essen.“ Das Fleisch sei bloß viel teurer geworden. „Deswegen kaufen sie kleinere Portionen.“ Die Speisekarte verändern? Der Dreisternekoch im achten Arrondissement denkt nicht daran: „Ich war in den Pyrenäen, um mir die Schafzucht meiner Lieferanten anzuschauen. Beste Qualität.“

Während andere Europäer in Zeiten von BSE und Maul- und Klauenseuche sorgenvoll auf ihre Teller schauen, bleibt für die Franzosen „la bouffe“ – das Essen – die zweitwichtigste Sache der Welt. Sie gehen davon aus, dass die Qualitätskontrollen in Frankreich gründlicher sind als anderswo. Sie vertrauen den Herstellern und Händlern. Und sie essen weiter Rohmilchkäse sowie halb rohes Fleisch von Rind, Kalb und Lamm.

Die fièvre aphteuse, wie die Maul- und Klauenseuche hier heißt, hat zuletzt in den 50er-Jahren gewütet. Bauern erinnern sich, dass es da noch keine EU-Subventionen gab. Damals schütteten sie die Milch des kranken Viehs weg und warteten, bis es wieder gesund war. Anschließend gaben die Tiere weniger. Die meisten Franzosen wissen auch, dass es einen Impfstoff gibt. Und dass der auf Drängen der EU Anfang der 90er vom Markt genommen wurde.

Gerade weil sie wissen, dass die Seuche sei Jahrhunderten bekannt, für den Menschen weitgehend unschädlich und beherrschbar ist, wundern sie sich, dass so schnell Scheiterhaufen brannten und Importstopps verhängt wurden. Und dass es bei BSE, das sich möglicherweise auf den Menschen überträgt, Jahre dauerte, bis die EU zu einem gemeinsamen Vorgehen fand.

Der Hühnchenbräter, der seit Januar kein Lammfleisch mehr verkauft, weil der Großmarktpreis um beinahe das Dreifache angestiegen ist, vermutet „wirtschaftliche Gründe“. Und der Käsehändler wittert eine „Marktbereinigung, um die Milchüberproduktion loszuwerden“.

Auch in den oberen Klassen der französischen Küche begegnen die Gourmets dem Umgang mit der Seuche mit Skepsis. Jean-Claude Vrinat, Chef des Pariser Restaurants „Taillevent“, dessen Gänseleberschnitzel in süßem Banuyls-Wein Weltruhm genießen, nennt die Angst vor Fleisch eine „Psychose“. Wer „an allem zweifelt“, sagt er, „muss auch auf Fisch verzichten – wegen des Quecksilbers. Und auf Gemüse – wegen der Genmanipulationen“. Auch sein Kollege Guy Martin, der in seinem Pariser „Grand Vefour“ den berühmten Steinbutt in Tomaten-Mandel-Creme serviert, warnt vor dem Verzicht auf Fleisch. „Wir sind keine Kühe“, sagt er. „Wir müssen alles essen. Auf das Gleichgewicht kommt es an.“ Beide Chefs halten an ihren Speisekarten und an ihren Produzenten fest. „Meine Kunden“, sagt Vrinat, „haben Vertrauen.“

Die große Umstellung in der Küche habe man schon vor zehn Jahren gehabt, so Vrinat. „Seither verlangen die Franzosen mehr Fisch – aus diätetischen Gründen.“ Aus Sicherheitsgründen strich Martin Mitte der 90er-Jahre einige der ins Gerede gekommenen Innereien von der Karte. Als einziger französischer Spitzenkoch probiert Alain Passard im Pariser „Arpège“ eine vegetarische Wandlung. Fleischlos essen gilt in Frankreich als unausgewogen und unvollständig.

Angst vor Krankheit durch „falsches Essen“ geht nicht um. Weiterhin will man das geschmackreichste Produkt und ist überzeugt, dass die eigene die beste aller Küchen ist. Wer in Paris erzählt, dass eine deutsche Landwirtschaftsministerin vorschlägt, aus „Sicherheitsgründen“ auf Frankreichreisen zu verzichten, erntet Gelächter.

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