DEBATTE UM MKS-IMPFUNG ZEIGT: MASSENKEULUNG IST KEINE LÖSUNG: Die Barbarei muss ein Ende haben
Das Pro und Contra zum Impfen bei der Maul- und Klauenseuche (MKS) führt zu überraschenden Koalitionen. Biobauern fordern das Impfen. Die agrarpolitischen Sprecher der Grünen im deutschen und im EU-Parlament sind dagegen. Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz ist dafür, die Kritischen Tierärzte und die EU-Agrarminister lehnen es ab.
Es lassen sich gute Gründe für wie gegen das Impfen anführen. Doch sollte in der hitzigen Debatte um das Impfen nicht übersehen werden, warum die Frage überhaupt diese zentrale politische Bedeutung erhält: Sie ist mit einem besonderen Automatismus verknüpft, in den uns die herrschende Gesetzeslage bannt. 1992 hat die EU das Impfen verboten – doch dabei beließ sie es nicht. Sie hat zugleich angeordnet, dass die erkrankten oder möglicherweise infizierten Tiere auszurotten seien. Diese Verteidigung eines seuchenfreien Europas, in dem Hunderttausende von Tieren vernichtet werden, hat in die Barbarei geführt. Immer neue Länder sind davon betroffen, jetzt hat MKS auch die Niederlande und Irland erreicht.
Durch die tödliche Rigidität der EU ist jeder Handlungsspielraum bei der Seuchenbekämpfung aufgehoben. Das ist die eigentliche Katastrophe. Politik und Verwaltung exekutieren eine Verordnung – überkorrekt. Es ist förmlich zu spüren, wie die Furcht vor Fehlern das Handeln bestimmt. Wem man künftig anlasten kann, dass er schuld sei am Ausbruch der Seuche – der ist garantiert seinen Posten los. Dieser lähmende Irrsinn wird komplett, wenn man weiß, dass die Seuche die Menschen nicht befällt, dass Fleisch erkrankter Tiere verzehrt werden kann. Wenn es nicht tiefgefroren, sondern nur zwei Tagen abgehängt wird, ist das Fleisch frei von Viren und könnte gehandelt werden. In der Regel überleben Kühe die Seuche, erwerben Immunität durch das „Durchseuchen“. Sie können, müssen aber nicht weiterhin Viren ausscheiden. Sie können, müssen aber nicht von bakteriellen Folgekrankheiten befallen werden. Im Vergleich zur generellen Ausrottung der Tiere eröffnet das eine Vielzahl von Alternativen. Doch diese Alternativen dürfen nicht erprobt werden. Zur Tötung gibt es keinen Ermessensspielraum. Jeder Bauer oder Tierarzt wäre erledigt, der einen Heilungsversuch unternimmt. In der Sprache der Seuchenpolizei, die jetzt das Regiment übernimmt: Es wäre der strafbare Versuch, die Seuche zu kaschieren.
Diese EU-Strategie muss auch darum revidiert werden, weil die Ausrottung der Tiere gerade die Bauern trifft, die für die Agrarwende gebraucht werden. Wie verzweifelt die Bauern sind, zeigt etwa eine Presseerklärung der alternativen „Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft“ aus Nordrhein-Westfalen: „Die Ausrottung unserer Tierbestände ist für uns nicht nur wirtschaftlich eine Katastrophe. Sie vernichtet unsere züchterische Arbeit von Jahrzehnten und raubt uns den Mut und die Freude, weiterhin Bauern zu sein . . . Die Bilder von brennenden Tierbergen gehen uns an den Nerv unseres Selbstverständnisses . . . Wenn es bei uns zu solchen Bildern kommt, dann [werden] viele die Brocken hinwerfen, und zwar gerade die, die noch ein gutes Verhältnis zu ihren Tieren haben.“
Ein weiteres Problem, bisher völlig übersehen: Die EU-Osterweiterung ist unvereinbar mit der jetzigen Seuchenstrategie. Die Vermehrung des Personen- und Warenverkehrs erfordert flexiblere Abwehrmaßnahmen gegen Infektionen. Das alte Bollwerk eines seuchenfreien Europas ist schon deswegen eine Illusion.
Die EU-Politik der tödlichen Keule muss daher revidiert werden. Bis dahin ist ein Moratorium notwendig, um nach Auswegen aus der Sackgasse suchen und die Tierbestände retten zu können. Impfen und/oder kontrolliertes „Durchseuchen“ muss wieder möglich sein. Genügend Impfstoff ist vorhanden, auch für den jetzt grassierenden asiatischen Virustyp. Allerdings: Impfungen sind kein Wundermittel, das alle Fehler einer industrialisierten Tierhaltung kuriert. Die Haltungsbedingungen der Tiere müssen so verbessert werden, dass der Krankheitsdruck in den Ställen abnimmt und die Widerstandskraft der Tiere wächst.
Es ist nicht die Aufgabe von Politikern, einen angeblichen Sachzwang zu exekutieren. Sie müssen Handlungsmöglichkeiten eröffnen. GÖTZ SCHMIDT
Der Autor ist Sozialwissenschaftler und lehrt Agrarpolitik(goetz.schmidt@ uni-kassel.de). Siehe auch dieDebattentexte vom 6. 3., 15. 3. und 17. 3.
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