: Alle reden vom Wetter. Wir auch.
Nach dem US-Ausstieg aus dem Kioto-Abkommen verdrängt bei Schröders Treffen mit Bush die Klimapolitik die Raketenabwehr als Hauptstreitpunkt
aus Washington PATRIK SCHWARZ
Vor fünf Minuten saß er noch beim mächtigsten Mann der westlichen Welt am Kamin. Jetzt steht Gerhard Schröder im Regen und der mächtigste Mann des deutschen Fernsehens lässt ihn warten. Die Schaltung zu Ulrich Wickert in die Hamburger „Tagesthemen“-Zentrale klappt nicht. „Mach zu jetzt! Ich hab nicht lange Zeit und es regnet wie verrückt!“, ruft Schröder. Nur ein Regenschirm schützt den dunklen Maßanzug des Bundeskanzlers, zwei Holzbrettchen zu seinen Füßen sollen verhindern, dass seine Schuhe im aufgeweichten Rasen hinter dem Weißen Haus versinken. „Du Ulli, ich kann das jetzt wirklich nicht mehr machen!“ Da geht die Kamera an, der Kanzler strafft sich: „Guten Abend Herr Wickert!“
Das Wetter machte Gerhard Schröder nicht nur unter freiem Himmel zu schaffen, sondern auch im Oval Office. Erstmals bei einem Gipfeltreffen zwischen einem Bundeskanzler und einem US-Präsidenten stand das Wetter, oder genauer gesagt die Klimapolitik, ganz oben auf der Tagesordnung – und sorgte für Ärger. Seit George W. Bush den Ausstieg seines Landes aus dem Kioto-Abkommen zur Reduzierung von Treibhausgasen ankündigte, hat das Thema eine erstaunliche Karriere erfahren: In den Politzirkeln von Berlin und Washington galten Umweltfragen im Vergleich zu Militär- und Sicherheitspolitik jahrelang als nachrangig. In den Gesprächen zwischen Kanzler und Präsident hat der globale CO2-Ausstoß nun endgültig den Raketenabwehrschild NMD und die europäische Eingreiftruppe als Konfliktthema Nummer eins verdrängt.
Schon vor dem ersten Kennenlernen hatten die beiden Partner und Kontrahenten vor der Öffentlichkeit ihre jeweilige Position noch einmal abgesteckt: Auf den Treppenstufen zum Gästehaus der US-Regierung wiederholte Schröder noch in der Nacht seiner Ankunft, was er vom Kioto-Ausstieg seiner Gastgeber hält: Nichts. George W. Bush revanchierte sich am nächsten Tag eine knappe Stunde, bevor er den Gast im Weißen Haus empfing. Der Präsident hatte kurzfristig eine Pressekonferenz zur Gewalt in Nahost angesetzt und nutzte die Gelegenheit um klarzumachen, dass er sich bei den Treibhausgasen keinen Schritt bewegen wird. „Ich bin ein geradliniger Typ“, verkündete der Texaner, und „was das Thema CO2 betrifft, werde ich so klar wie ich kann erklären – heute und bei jeder Gelegenheit, die ich kriege: Wir werden nichts tun, was unsere Wirtschaft gefährdet.“
Als der Deutsche nach kaum 24 Stunden in Washington wieder den Rückflug antrat, hatte der Texaner Bush etwas vermocht, was nicht vielen gelingt: Gerhard Schröder durcheinander zu bringen. Die vehemente Opposition des Deutschen gegen den Kioto-Ausstieg der Amerikaner ist einer Reihe von Abwägungen und Einschränkungen gewichen, die Schröder auch in vier verschiedenen Pressebegegnungen nicht ganz unter einen Hut zu bringen vermochte. Einerseits mahnte er nach dem Mittagessen mit Bush sowie einem anschließenden Gespräch weiterhin das Engagement der USA an: „Ich will niemanden aus seiner Verantwortung entlassen.“ Andererseits sprach er zweimal davon, die Europäer könnten die Ziele von Kioto auch ohne die USA verfolgen. Es sei ja deutlich geworden, so rutschte ihm vor dem Weißen Haus heraus, dass der Präsident in der Frage eine ziemlich feste Entscheidung getroffen habe.
Schröders Verhalten im CO2-Streit erinnert an seinen Kurswechsel bei NMD – mit einem wesentlichen Unterschied: Auch beim Raketenabwehrschild hatte der Kanzler seinen Widerstand mit dem Hinweis auf die Entschlossenheit von George W. Bush aufgegeben. Allerdings ließ Schröder in Washington durchblicken, dass er in der Klimapolitik die Europäer für gleichberechtigte Partner der USA hält, während er die Raketenabwehr vorrangig als amerikanische Angelegenheit sieht. Entsprechend machte er aus der Verärgerung der EU über Bushs Alleingang keinen Hehl. „Es hat vor der Entscheidung des Präsidenten keine Konsultationen gegeben“, bemängelte der Kanzler.
Um die Kluft nicht gar zu tief werden zu lassen, schwärmte Schröder seinem Gastgeber von den Möglichkeiten regenerativer Energien sowie besserer Energienutzung vor – als Weg jenseits von Kioto, Treibhausgase zu reduzieren. Eher gönnerhaft beschied Bush dem Kanzler, auf diesem Feld sei Deutschland ja technologisch gut gerüstet.
Die Gespräche über die Chemie in der Erdatmosphäre litten wohl auch unter der schlechten Chemie zwischen den beiden Regierungschefs. Beim Pressetermin im Oval Office sah Schröder angestrengt bis gequält aus, auf die Anrede mit Vornamen hatten „George“ und „Gerd“ von vornherein verzichtet. Der deutsche Aufsteiger und der amerikanische Sprössling einer Öl- und Politdynastie konnten offenbar wenig miteinander anfangen – sie seien „zwei Leute, die eine klare Sprache sprechen“, lautete noch die herzlichste Formulierung, die beide für einander fanden. Und in der Tat, der Kanzler und der Präsident schenkten sich nichts. „Meine Beamten haben mir gesagt, der Kanzler rede deutlich“, resümierte Bush. „Stimmt. Dafür bin ich ihm dankbar.“
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