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Fünfzehn gegen Millionen

Der Innensenator verbietet die Love Parade am 14. Juli im Tiergarten. Ein Häuflein cleverer Naturschützer darf demonstrieren. Planetcom beharrt auf traditionellem Termin und wird klagen

von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

Berlin ist wieder Frontstadt. Doch im Jahr 2001 verlaufen die Gräben nicht zwischen Ost und West, sondern zwischen den Veranstaltern des weltweit größten Technospektakels und einem Häuflein unerschrockener Naturschützer. Die 15 Aktivisten haben es geschafft, den Veranstaltern der Love Parade ihre Route und ihren angestammten Termin – den zweiten Samstag im Juli durch den Tiergarten – vor der Nase wegzuschnappen. Gestern gab Innensenator Eckart Werthebach (CDU) bekannt, dass die Versammlungsbehörde die Love Parade am 14. Juli im Tiergarten verbieten wird.

Die Bürgerinitiative „Rettet den Großen Tiergarten vor der Love Parade“ hatte am 8. September vergangenen Jahres ihre Demonstration angemeldet. Die Veranstalter der Love Parade, die planetcom, ignorierte diverse Hinweise der Versammlungsbehörde, dass andere ihnen zuvorkommen könnten: Sie kam erst am 13. Oktober 2000 aus den Technopuschen.

Weil die Versammlungsbehörde nicht daran zweifelt, dass die von der BI angegebenen 25.000 Teilnehmer wirklich kommen, hat sie die Frage „Welche Demonstration hat Vorrang?“ zugunsten der kleinen BI entschieden. Diese verweist stolz auf 5.000 Unterschriften. Angesichts von einer Million Ravern sei nicht zu gewährleisten, dass die Naturschützer ihr Demonstrationsrecht ausüben können, so Werthebach. Die Initiative sprach gestern von einem „Etappensieg“. Ruhe geben wollen sie erst, wenn die Love Parade überhaupt nicht mehr im Großen Tiergarten stattfindet.

Die planetcom indes kann es nicht fassen, dass sie nicht mehr der Nabel der Technowelt ist. „Die Ausübung der Grundrechte darf nicht vom Eingang des Poststempels abhängen“, sagte ein Sprecher der Agentur Allensdorf, die auch für Stefan Raab und Modern Talking die PR-Arbeit macht. Während die Polizei eine leicht veränderte Route durch den Tiergarten ablehnt, kommt für die Veranstalter ein anderer Tag nicht in Frage. Vor der Einleitung rechtlicher Schritte will planetcom den Bescheid abwarten.

Die gestrige Entscheidung sorgt nicht nur für Durcheinander in den Terminkalendern von Ravern zwischen den bayrischen Alpen und der Ostsee. Der Geschäftsführer der Berlin Tourismus GmbH, Hanns Peter Nerger, forderte die Kontrahenten auf, mit dem „Possenspiel“ um die wichtigste Veranstaltung Berlins aufzuhören. Nerger befürchtet einem „erheblichen Imageverlust“ für die Stadt. Und: „Man kann auch von einer Peinlichkeit sprechen.“ Die Tourismus-Manager wollte noch gestern weltweit alle Auslandsvertretungen anschreiben, damit internationale Reiseveranstalter auf dem Laufenden sind.

Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) bedauert die Entscheidung sehr. „Da hängt ein gigantischer Rattenschwanz dran“, so sein Sprecher. Die Teilnehmer in aller Welt hätten zum Teil schon gebucht oder Urlaub beantragt. Bei der Deutschen Bahn ist bereits seit Januar eine Projektgruppe mit der schienenmäßigen Vorbereitung der Love Parade betraut. Im vergangenen Jahr beförderten 60 Sonderzüge etwa 350.000 Raver nach Berlin. Dafür wurden 2.300 zusätzliche Bahnmitarbeiter eingesetzt.

Auch SPD-Senator Klaus Böger, beruflich für die Jugend Berlins zuständig, sprach sich gestern für den Erhalt der Love Parade aus. Jetzt müsse man andere Standorte prüfe, sagte sein Sprecher Thomas John. Die Grünen lobten die Entscheidung des Innensenators und brachten erneut den Flughafen Tempelhof als Veranstaltungsort ins Spiel. Ein besonderer Triumph war der gestrige Tag für den Kulturstadtrat von Mitte, Horst Porath. Seit Jahren bekämpft er, bislang als Baustadtrat in Tiergarten, die Love Parde. Von einem Ausweichtermin hält er nichts: „Für die Natur ist es völlig egal, ob sie am 14. oder am 21. Juli niedergetrampelt wird.“

Während die Zukunft der diesjährigen Love Parade nun bei den Gerichten liegt, sind die Weichen für nächstes Jahr schon gestellt. Die planetcom hat kürzlich die Love Parade für den zweiten Samstag im Juli 2001 angemeldet und ist damit ihrem Gegner zuvorgekommen.

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