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Der Hunger nach Antworten

SchülerInnen arbeiteten für Zwangsarbeiterfonds. Gestern trafen sie zwei der Opfer  ■ Von Elke Spanner

Hunger kennen alle. Hunger und Durst. Diese Qualen können die SchülerInnen nachvollziehen. Viel berichten Andrzej Karaban und Alina Piatkowska davon, wie wenig sie zu Essen und Trinken bekamen, als sie 1944 von den Nationalsozialisten aus Polen nach Hamburg verschleppt und hier zur Arbeit gezwungen wurden. Einen Becher Ersatzkaffee und ein Kanten Brot am Tag, da wissen alle, was das heißt.

Die beiden ehemaligen ZwangsarbeiterInnen sind auf Einladung des Senates zusammen mit 22 weiteren wieder in Hamburg. Ihr Bedürfnis, 56 Jahre später am Ort des Geschehens über ihre damaligen Erlebnisse zu berichten, ist groß. Zu groß, um ein Gespräch darüber zu ermöglichen. Es beißt sich mit dem Wunsch der NeuntklässlerInnen der Billstedter St. Paulus-Schule, ihr geschichtliches Wissen und Interesse zu zeigen. Während Karabans ausuferndem Vortrag liest ein Mädchen unter dem Tisch aufgeregt immer wieder die vorbereiteten Fragen durch. Dazu, sie zu stellen, kommt sie nicht.

Die HauptschülerInnen sind auf das Treffen gut vorbereitet. Lange haben sie im Geschichtsunterricht über das Leid der ZwangsarbeiterInnen gesprochen und schließlich die „Aktion Rose“ durchgeführt: Alle haben einen Tag lang in der Firma „Deiters und Florin“ am Fließband gearbeitet und ihren Lohn der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zur Entschädigung von NS-ZwangsarbeiterInnen gespendet. 2000 Mark haben sie verdient, 1000 Mark sind noch an Spenden hinzugekommen. Heute wird das Geld überwiesen.

Doch ihr Wissen hat auch bewirkt, dass die SchülerInnen großen Respekt vor den beiden ZeitzeugInnen haben. Und der verbietet es ihnen, zu unterbrechen, wenn Karaban sich in seinen Erinnerungen verliert, bis sogar der Dolmetscher kapituliert und schlicht nicht mehr übersetzt. Ein wirklicher Kontakt aber ergibt sich über einen Vortrag nicht. Teile sind spannend, andere nicht. Zwei Jungs beginnen sich demonstrativ zu räkeln.

Eigentlich hätte die Mädchen und Jungen besonders interessiert, wie es den beiden ZwangsarbeiterInnen damals ganz persönlich erging. Als sie selber noch Jugendliche waren, kaum älter als die Billstedter NeuntklässlerInnen heute, und ein Leben führen mussten, über das man in Geschichtsbüchern lesen kann. An was sie damals gedacht haben, wenn sie nachts nicht schlafen konnten, fragt Schülerin Alin schlicht. Sarah möchte wissen, ob die beiden heute noch von ihren Erlebnissen träumen.

Doch wie zuvor die SchülerInnen von dem Referat, wirken nun die ZeitzeugInnen von den persönlichen Fragen überrumpelt. Sie antworten, indem sie wieder Erlebnisse schildern. Und erzählen, wie sie sich damals ausgehungert auf das Essen stürzten, dass ihnen nach der Befreiung von den britischen Truppen angeboten worden war.

Eine Schülerin blickt hilfesuchend zu ihrem Klassenlehrer. Vergebens.

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