piwik no script img

Hinten riecht’s nach Fritten

Der Tiger im Tank heißt Speiseöl. Ein regionales Wirtschaftskonzept wirbt für die Nutzung von Rapsöl als Dieselersatz. Umstritten sind die ökologischen Folgen eines großflächigen Rapsanbaus

Wenn aber keine mineralischen Stickstoffdüngemittel, sondern ausgereifte Biogasgülle und Kompost eingesetzt werden, dann gibt es überhaupt keine Lachgas-Problematik

von ANDREA SCHNEIDER

Vorne schnurrt der Motor ruhig, wenn Levon Sergis-Christian seinen Wagen startet. Nur ein kleiner Aufkleber direkt neben dem Nummernschild verrät, dass sich dieses Auto von anderen Diesel-modellen unterscheidet: „Regioöl – Tank Sonne“. Ein Blick auf Dach und Kofferraum genügt, um festzustellen, dass sich hier weder Solarzellen noch Batterieblöcke verbergen. Und was macht den kleinen Unterschied? „Speiseöl“, sagt Sergis-Christian. „Der Wagen fährt mit reinem, kalt gepresstem Speiseöl.“ Jetzt, wo er’s sagt, ist die Erklärung überflüssig. Die Abgase riechen, als hätten sie sich durch eine Friteuse ins Freie gearbeitet.

„Regioöl“, das Wort steht für ein regionales Wirtschaftskonzept. Heimisches Rapsöl für heimische Kraftstofftanks. Die Nähe zu den Verbrauchern erspart lange Transportwege, Kosten und Umweltbelastungen. Ausgetüftelt wurde die Idee von zwei kirchlichen Regionalstellen in Mönchengladbach und Düren und dem Aachener Ingenieurbüro INCO. Die einen engagieren sich, weil sie mit zeitgemäßen Mitteln einen Beitrag leisten wollen, die Schöpfung zu bewahren. Die anderen, weil sie sich intensiv mit Kraftstoffsubstituten auseinander setzen.

Die Vorteile von Pflanzenöl als Ersatz für Diesel lassen sich nach Ansicht von Levon Sergis-Christian vom Ingenieurbüro INCO am besten in Zahlen formulieren. Kohlenmonoxid- und Rußausstoß werden um 50 Prozent verringert, die Kohlenwasserstoff-emission reduziert sich bei der Verbrennung um 40 Prozent. Im Bereich des klimawirksamen Kohlendioxids fahren mit Rapsöl gespeiste Wagen neutral. Das heißt: Es wird nur so viel Kohlendioxid freigesetzt, wie die Pflanzen während ihres Wachstums aufgenommen haben – was ja ebenfalls für die fossilen Rohstoffe gilt. Auch sie können nur die CO2-Menge freisetzen, die sie einst, vor Jahrmillionen, beim Wachstum der Lebewesen gespeichert haben, die im Laufe der Zeit von Bakterien in Öl zersetzt wurden. Der Zyklus beim Raps – von der Saat bis zum wieder freigesetzten Kohlendioxid – ist freilich etwas kürzer. Und die Bindung von Kohlendioxid in Öl und Kohle hat das Leben in seiner jetzigen Form erst ermöglicht, die Freisetzung dieses CO2 innerhalb kürzester Zeit aber verändert unser Klima nachhaltig.

Umstritten ist die Emission von Lachgas. Lachgas entsteht immer dann, wenn sich Stickstoff im Boden zersetzt. Also bei jeder Düngung, auf jedem Acker, aber auch in jedem Wald oder Blumenbeet. Allerdings nur in geringen Mengen. Anders bei Raps. Er benötigt intensive Stickstoffdüngung, was hohe Lachgasemissionen zur Folge hat. Lachgas aber gilt als starkes Klimagift, etwa 310-mal aktiver als CO2.

Der Einsatz von Pflanzenöl als Kraftstoff erzeugt weniger CO2 durch den Verzicht auf die Verbrennung von Diesel, dafür aber mehr Lachgas (N2O) durch vermehrten Anbau von Raps. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Heidelberger Instituts für Energie- und Umweltforschung, kurz ifeu. „Das stimmt so nicht“, behauptet Ernst Schrimpff von der Fachhochschule Weihenstephan. „Denn die Mineraldüngerverwendung ist wesentliche Quelle der Lachgasemissionen.“ Wenn aber wie im Öko-Landbau keine mineralischen Stickstoffdüngemittel sondern ausgereifte Biogasgülle und Kompost eingesetzt werden, dann gebe es „überhaupt keine Lachgas-Problematik“. – “Richtig“, meint Guido Reinhardt vom ifeu-Institut. Doch Reinhardt bleibt skeptisch. Denn ökologischer Landbau erbringe im Vergleich zum konventionellen nur etwa die Hälfte des Ertrags. Blicke man zudem auf die Eutrophierung, also die Anreicherung von Nitraten im Grundwasser oder in angrenzenden Gewässern, so schneide sogar die konventionelle Landwirtschaft im Vergleich zur ökologischen besser ab. Denn bei Ersterer ließe sich die Düngung besser steuern. Beim Öko-Landbau sei man dem Wetter stärker ausgeliefert. Ein unerwarteter Regen bei Gülle- oder Kompostgaben würde die Nährstoffe ins Grundwasser ausspülen. Es gelte also abzuwägen, sagt ifeu-Mitarbeiter Reinhardt. Will man vorrangig den Treibhauseffekt einschränken, dann macht ökologischer Rapsanbau Sinn. Lautet das primäre Ziel aber, der Eutrophierung und damit der Nitratbelastung des Wassers entgegenzuwirken, dann schlage das Pendel für einen sehr sorgsamen Düngemittelverbrauch im konventionellen Landbau aus.

Raps hat wiederum in anderen Bereichen nachhaltige Vorteile, beispielsweise eine hervorragende Vorfruchtwirkung für Getreide, das anschließend auf dem gleichen Feld angebaut wird. Die Pfahlwurzel des Rapses lockert den Boden auf, bindet Stickstoff und stellt ihn der nachfolgenden Pflanze zur Verfügung, so dass weniger gedüngt werden muss. Eine schier endlose Pro-und-Kontra-Spirale ließe sich erstellen. Die Zerrissenheit spiegelt sich auch bei den politisch Verantwortlichen wider. Während man auf Bundesebene den Einsatz von Pflanzenöl oder Pflanzenölprodukten in der Binnenschifffahrt oder als Schmierstoffe in der Wirtschaft (z. B. Kettensägeöle) propagiert, ist man bei einem großflächigen Einsatz als Kraftstoffersatz für Autos eher skeptisch. Aus vorgenannten Gründen, aber auch weil „die Ökolandwirtschaft zunächst einmal dem Nahrungsmittelanbau und nicht als nachwachsender Rohstoff dienen sollte, sagt Dietrich Schulz, Landwirtschaftsexperte beim Umweltbundesamt. Das Land Nordrhein-Westfalen hingegen wirbt für das Projekt Regioöl und fördert es sogar.

Die Lachgas-Problematik nehmen die Betreiber aus Aachen, Düren und Mönchengladbach ernst. Sie werben für den Mischfruchtanbau, der auf Raps ganz verzichtet. Gemeinsam mit Gerste könnte beispielsweise der Bodendecker Leindotter angebaut werden. Beide Pflanzen lassen sich gleichzeitig ernten und wegen ihrer unterschiedlichen Korngröße einfach trennen: Kraftstoff aus Leindotteröl wäre das Nebenprodukt.

Weg vom ökologischen Verzichtsimage möchte Levon Sergis-Christian. Die Umstellung von Diesel auf Speiseöl sei nicht nur was für vermeintliche Ökoautos. Ganz bewusst hat er sich deshalb für ein Nobelfahrzeug aus Stuttgart entschieden. Schon vor Jahren wurde der Wagen für die Verbrennung von Speiseöl umgerüstet und läuft bis heute problemlos – weit mehr als 100.000 Kilometer. Keine Leistungseinschränkungen, keine Schwierigkeiten bei den Inspektionen. Denn beim Umbau greifen die Werkstätten auf Normbauteile von Serienherstellern zurück, so dass in jeder Werkstatt Inspektion oder Reparatur erledigt werden kann. Der Umbau von Düsen, Kraftstoffleitungen und Filteroberflächen aber ist unerlässlich, weil Speiseöl dickflüssiger ist als Diesel. Wenn allerdings gerade kein Speiseöl zum Tanken vorhanden ist, läuft der Wagen nach wie vor mit Diesel. Im Winter kann es sogar nötig sein, ein bisschen Diesel zuzugeben. Bei Temperaturen von unter minus fünf Grad sollten ein bis zwei Prozent Diesel in den Tank, um die Startfähigkeit des Motors zu erhalten.

Die Organisatoren des rheinischen Projekts wissen, dass sie mit ihrem Regioöl die Rohölimporte nicht maßgeblich reduzieren können. Ihr Projekt ist auf eine Ölmühle in der Region mit einer Kapazität von einer Million Liter pro Jahr ausgelegt. Das heißt: Etwa 500 Fahrzeuge könnten pro Jahr jeweils 28.000 Kilometer zurücklegen. Probleme mit der Energieversorgung sehen die Organisatoren nicht. Denn neben drei Tankstellen in der Region bietet sich allen Autofahrern die Möglichkeit, eigene Tanks anzulegen. So kann ein Netzwerk diverser kleiner Tankmöglichkeiten entstehen. Für die Lagerung von Speiseöl gibt es schließlich keinerlei Auflagen.

Bei so viel Engagement bleibt Sergis-Christian noch Zeit für Phantasien: Was wäre beispielsweise, wenn sich Entwicklungsländer mit ihren viel ertragreicheren Ölpflanzen wie der Purgiernuss an eine Pflanzenölproduktion als Heizöl- oder Kraftstoffersatz machen würden? Einwände kritischer Agrarexperten, massiver monokultureller Anbau gerade in Entwicklungsländern führe zu Landflucht, Verarmung der Bevölkerung und – weil zugunsten des Ölprodukts möglicherweise weniger Lebensmittel angebaut werden – zu Hunger, wischt der Ingenieur vom Tisch. „Hunger“, sagt er, „ist kein Problem der Anbaufläche.“ Dort wo die Purgiernuss gedeiht, nämlich in Wüstenregionen, sei kein Getreide-, Mais- oder Reisanbau möglich. Beinahe die gesamte jährliche Erdölproduktion ließe sich, so Sergis-Christian, auf einer Fläche von der Größe SaudiArabiens aufholen.

Phantasie und Wirklichkeit liegen gar nicht weit auseinander: Auf Anregung des forschungspolitischen Sprechers der Grünen, Hans-Josef Fell, sucht das Bundesumweltamt nun das Gespräch mit Entwicklungshilfeministerin Wieczorek- Zeul. „Den Anbau der Purgiernuss muss man näher untersuchen“, betont Dietrich Schulz, Landwirtschaftsexperte beim Umweltbundesamt. Planzenöl als Kraftstoffersatz hat er dabei durchaus im Sinn. Viel wichtiger aber ist ihm der Gedanke, dass ein großflächiger Anbau der Purgiernuss die Desertifikation der Erde stoppen könnte. Wüstenregionen können möglicherweise sogar wieder für den Anbau anderer landwirtschaftlicher Produkte zurückgewonnen werden.

Zurück in die Gegenwart. Regioöl sei eine runde Sache, sagt Sergis-Christian. Ob Raps oder Leindotter – die Pflanze wird komplett genutzt. Abfallprodukte gibt es nicht. Die beim Pressen und bei der Filterung entstehenden Rückstände können in den Ställen als Sojaschrotersatz, der sonst aus Übersee eingeführt wird, verfüttert werden.

In Heller und Pfennig rechnet sich jedenfalls das Projekt für Umsteiger von Diesel auf Pflanzenöl. Nicht sofort. Zunächst ist eine Investition nötig. Etwa 4.000 Mark kostet der Umbau eines Autos, 1.000 Mark pro Zylinder. Der Preis für das Öl aber liegt mit durchschnittlich einer Mark pro Liter weit unter dem Dieselpreis. Und der Geruch? „Das gibt sich“, meint Levon Sergis- Christian. Spätestens wenn der Motor warm ist, klopft niemand mehr ans Autofenster, um eine Portion Fritten mit Majo zu bestellen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen