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Hamburg in Angst vor Skins

Verfassungsschutzbericht räumt Zunahme rechtsextremer Gewalt ein. Die Schill-Partei wird nicht beobachtet  ■ Von Peter Müller und Andreas Speit

Innenbehörde und Verfassungsschutz (VS) geben wenige Monate vor der Wahl Entwarnung: „Vom politischen Extremismus geht keine Gefahr aus“, sagte Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) ges-tern bei der Vorlage des Verfassungsschutzberichts 2000. „Politischer Extremismus beeinflusst nicht den Willensprozess der Bevölkerung.“ So seien die „etablierten rechtsextremistischen Parteien“ (DVU, REP und NPD) weitgehend in einem „inaktiven, teils desolaten Zustand – mit Ausnahme einer rechtspopulistischen Partei“. Die Schill-Partei, versichert der Innensenator, „steht aber nicht unter Beobachtung“. Allerdings habe sich die Zahl registrierter rechter Gewalttaten mehr als verdoppelt: „In Hamburg herrscht eine große Angst vor Aggressivität und Brutalität von Skinheads.“

Nach Auffassung Wrocklages habe Hamburg mit dem Verbot des des Neonazis-Kampftrupps „Hamburger Sturm“ im August 2000 sowie durch Demoauflagen Erfolge erzielt – obwohl es im Vorjahr so viele rechte Aufmärsche wie noch nie gab. Mit dem Verbot des rechten Marsches am Holocaustgedenktag, der vom Bundesverfassungsgericht bestätigt wurde, wäre sogar Demonstrationsgeschichte in Sachen Schutz der öffentlichen Ordnung geschrieben worden.

VS-Chef Reinhard Wagner räumte ein, dass die Freien Nationalisten und ihr Skinhead-Umfeld auch nach dem Verbot des Hamburger Sturm weiter aktiv sind – wenngleich sie den Aufbau fester Strukturen aus Angst vor Repression vermeiden würden. Zudem regis-triert der VS eine Zunahme der „Anti-Antifa-Arbeit“ sowie das Entstehen einer „rechtsextremis-tisch geprägten Subkultur“.

In dem Zusammenhang wirft Wrocklage der linken Szene vor, sich zu Handlangern der Neonazis zu machen, weil sie „auf eigene Faust“ rechte Aufmärsche verhindern wolle und dabei sogar Polizis-ten angreife: „Das ist eine nicht zu rechtfertigende Gewalt.“ Der Landfriedensbruch steht folglich ganz oben auf der Skala der „linksextremistischen Gewalttaten“. Besonders verärgert ist Wrocklage darüber, dass sich „Autonome Zellen“ mit der „moralischen Wahrheit als Gutmenschen“ dem „Komplex Antirassismus“ verschrieben hätten. Dabei sei mit Brandanschlägen „die Schwelle zum Terrorismus überschritten“ worden. Die Rote Flora bleibt für Wrocklage auch nach dem Verkauf zentraler Anlaufpunkt für das autonome Spektrum, „idelogische Köpfe“ sind laut Wagner jedoch in der linken Szene nicht auszumachen.

Anders bei den Neonazis. Dort sei Christian Worch als Demoanmelder und Kundgebungsredner noch immer Galionsfigur. Thomas Wulff hingegen, der zweite führende Hamburger Neonazi, widmet sich laut Wagner der „privaten Beschäftigung des Ausbaus einer Ruine“. Und ließ unerwähnt, dass Wulff bei Boizenburg ein Neonazi-Schulungszentrum aufbaut.

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