: „Wir wollen ins Uni-Milieu!“
Die Grünen haben wenig Bindung zu Akademikern, findet Reinhard Loske. Der neue Bildungssprecher der Fraktion fordert mehr Mut: Gegen Schnarchsäcke. Für Juniorprofessoren und Bildungsgutscheine
Interview CHRISTIAN FÜLLER und MATTHIAS URBACH
taz: Herr Loske, Renate Künast verstand nichts von Kühen – und wurde Agrarministerin. Reinhard Loske hat sich kaum mit Lernen befasst – und wird bildungspolitischer Sprecher. Ist das jetzt das neue Grünen-Prinzip: Dilettanten nach vorn?
Reinhard Loske: Ich finde es gut, dass unsere Leute nicht von vorneherein festgelegt sind.
Auch wir meinen das positiv: Ein Dilettant im klassischen Sinne, kein engstirniger Spezialist, sondern einer, der ...
... die nötige Distanz zu einem Politikfeld mit sich bringt. Das ist ziemlich wichtig. Aber ich kenne mich schon ein wenig aus: Ich habe eine Lehre absolviert, studiert, promoviert, mich habilitiert. Und ich habe Kinder, die in Kindergarten und Schule gehen.
Das macht Ihren Wechsel in die Bildungspolitik nicht plausibel. Sie waren am renommierten Wuppertal-Institut, sie sind ein profilierter Umweltforscher und -politiker. Wieso bleiben Sie nicht bei Ihren Leisten, bei der Ökologie?
Das Amt des umweltpolitischen Sprechers bleibt mir ja. Aber ich glaube, dass die Frage, wie dieses Land mit seinen Köpfen umgeht, von den Grünen neu buchstabiert werden muss. Dazu will ich meinen Beitrag leisten. Richtig ist, dass ich kein ausgebildeter Bildungspolitiker bin. Man hat ein paar Tage Zeit, um sich in dieses Spiel einzustimmen.
Wir wollen mal sehen, wie weit Sie damit schon gekommen sind. Stellen Sie sich vor, sie sind im Millionen-Quiz bei Günther Jauch. Erste Frage: Das Bafög stieg am 1. April auf welchen Betrag? A: 1.140 oder B: 1.240 oder C: 1.340 Mark.
Es steigt auf 1.140 Mark.
Sehr schön. Kommen wir gleich zur nächsten Frage. Die Grünen hätten gerne ein Bafög, A: für alle, B: ein Bafög, das Zinsen kostet, C: ein Bafög, das bei beruflichem Erfolg zurückgezahlt werden muss?
(Denkt nach) Fragen Sie, ob ich die grüne Programmlage kenne oder ob ich sie richtig finde?
(taz wiederholt die Frage)
Antwort C klingt nach australischen Modell. Also ist Antwort A grünes Programm.
Wieso ist in der Koalition dann ein anderes Bafög herausgekommen?
Wir mussten die Realitäten beachten. Wir hatten zwar vereinbart, alle unterhaltsbezogenen Leistungen des Staats zu einem „Bafög für alle“ zusammenzufassen, zu einer Studienförderung, die unabhängig vom Eltern-Einkommen ausbezahlt wird. Das haben wir nicht erreicht. Der Kanzler meinte, das Kindergeld ist für die Eltern da – um damit zum Beispiel Eigenheimschulden abzutragen. Deswegen konnten wir das Bafög nur im alten System verbessern. Trotzdem ist das Thema Bildungsfinanzierung für uns Grüne überhaupt noch nicht abgearbeitet.
„Bafög für alle“ klingt ja gut. Aber finden auch Sie selbst es richtig, dem Millionärssohn genauso viel Bafög zu zahlen wie der Metzgerstochter?
Ich persönlich bin der Meinung, dass das Einkommen der Eltern natürlich berücksichtigt werden muss. Wenn jemand aus gutem Hause kommt, warum soll der vom Staat noch Geld kriegen? Und wenn er schon welches kriegt, soll er es wenigstens zurückzahlen.
Sie stellen sich also außerhalb des grünen Programms?
Ich finde nicht, dass man die soziale Verzerrung noch dadurch erhöhen soll, dass man allen gleich viel gibt.
Für die Grünen ist die jetzige Lösung doch maximal negativ: Ministerin Bulmahn kann in einer teuren Werbekampagne verkünden, wie toll die SPD das neue Bafög hingekriegt hat. Und Sie kriegen Druck von ihren Anhängern, weil die ganz genau wissen, dass das nicht annähernd grünes Bafög ist.
Dass das maximal negativ ist, glaube ich nicht. Wir haben das Bafög immerhin verbessert und zusätzlich zweierlei erreicht: Ab sofort gibt es die Möglichkeit, Bildungskredite aufzunehmen, elternunabhängig – eine grüne Idee. Zweitens haben wir eine Kommission über „Die Zukunft lebenslangen Lernens“ berufen. Damit werden wir die Diskussion über neue Formen der Studienfinanzierung wie Bildungsgutscheine am Kochen halten. Die SPD hätte am liebsten Ruhe.
Die Kommission ist bei Bulmahn angesiedelt. Haben Sie da überhaupt Einfluss?
Auch wir benennen Sachverständige. Und wir haben gute Leute hineingebracht.
Und trotzdem können Sie die Kommission nicht steuern. Was ist, wenn dort am Ende das Gegenteil verlangt wird: Nämlich Studiengebühren?
Studiengebühren sind kein vorrangiges Thema. Ich glaube, es ist viel intelligenter, über das Konzept der Bildungsgutscheine und im Gegenzug über Qualitätsverbesserung zu reden.
Können Sie uns das, bitte, erklären.
Der tragende Gedanke ist das lebensbegleitende Lernen. Warum vergibt man nicht an jeden ein festes Kontingent an Bildungsgutscheinen. Statt fürs Studium Gebühren zu zahlen, bezahlen die Studierenden mit solchen Gutscheinen. Sie hätten trotzdem den positiven Effekt von Studiengebühren: Die Universitäten müssen um Absolventen werben, um genug Gutscheine für ihre Finanzierung einzunehmen. Das übt Qualitätsdruck auf die Unis aus. Die werden spezifische Profile ausbilden – so wie es im angelsächsischen Raum längst üblich ist. Darüber würde ich gerne diskutieren.
Wie lange könnte man mit Bildungsgutscheinen gebührenfrei studieren?
Es muss für über eine durchschnittliche Studienzeit ausreichen. Plus eines Spielraums, damit man die Möglichkeit hat, sich am Anfang an der Uni umzuschauen – wie bei einem Studium Generale.
Ist das nicht ein Widerspruch? Sie wollen die Studiendauer über Bildungsgutscheine begrenzen – und werben gleichzeitig für ein Studium Generale.
Ich sehe das nicht als Entweder-oder. Ich glaube, dass die Universität auch Wirtschaftsbetrieb ist, wo die Gesetze von Angebot und Nachfrage gelten. Wenn sich manche Schnarchsäcke auf öffentliche Kosten ein angenehmes Leben machen, muss man dagegen angehen. Andererseits darf die Uni nicht zu einer Berufsvorbereitungsanstalt verkommen, sondern muss einem umfassenden Bildungsauftrag nachkommen: Persönlichkeit bilden und Raum zum Einüben von Demokratie geben. Deswegen will ich zum Beispiel, dass die Asten, die verfassten Studentenschaften, verbindlich im Hochschulrahmengesetz verankert werden.
Asta? Das ist natürlich ein Thema von vorvorgestern.
Von mir aus: Aber ich muss zur Kenntnis nehmen, dass Studentenausschüsse vor den Kadi gezerrt werden. Und das nur, weil sich die Leute gegen Rechtsradikalismus engagieren und damit angeblich ein politisches Mandat wahrnehmen.
Haben Sie sich denn als Student eingemischt?
Ich fand Hochschulpolitik ehrlich gesagt ziemlich langweilig. Ich war als Student Mitglied im Rat meiner Heimatstadt.
Welchem Bildungsideal fühlen Sie sich verpflichtet? Dem amerikanischen, das von Konkurrenz, Pragmatismus und Schnelligkeit geprägt ist. Oder dem Humboldt’schen, das Kooperation, Persönlichkeitsbildung und forschende Tiefe im Sinn hat.
Das Humboldt’sche Ideal liegt mir wesentlich näher. Aber ich weiß, dass die Welt anders geworden ist: Schnelligkeit und das Beherrschen von Lerntechniken sind heute mindestens genauso wichtig. Man sollte nur keinen künstlichen Widerspruch zwischen der deutschen Tiefe und einem vermeintlich flachen Nützlichkeitsdenken angelsächsischer Prägung aufbauen. Die Mischung macht’s.
Angelsächsische Flachheit? Für diese Einschätzung werden Sie heute an den Unis wenig Zustimmung finden. Überhaupt haben wir den Eindruck, dass die grüne Position dort recht schwach vertreten ist.
Es war mal avangardistisch, sich an den Hochschulen zu den Grünen zu bekennen – in den Achtzigern. Heute muss man sich in manchen Fakultäten schon entschuldigen, wenn man den Grünen nahe steht. Wir sollten versuchen, wieder in das akademische Umfeld reinzukommen: mit einem gewissen Mut bei Themen wie Gentechnik, die fundamentale Fragen aufwirft, oder der Dienstrechtsreform für die Professoren.
Womöglich verschärfen Sie damit Ihr Imageproblem noch. Die Dienstrechtsreform ist ja heiß umstritten. Was nutzt etwa das Angebot, ohne Habilitation mit Mitte 30 Professor werden zu können, wenn der akademische Mittelbau dafür ausbluten muss, nur weil die Reform kein Geld kosten darf?
Der Mittelbau wird durch das Prinzip der neuen Juniorprofessuren keine finanziellen Einbußen erleiden. Im Übrigen bin ich ganz konservativ, wenn es um die Ausstattung der Unis geht: Da muss natürlich mehr Geld her. Aber für die grüne Partei geht es ja um etwas ganz anderes: Wir brauchen wieder stärkeren Kontakt zur technisch-akademischen Intelligenz. Wir müssen in die neuen Dienstleistungs- und Bildungsberufe rein, wenn wir eine Partei sein wollen, die oberhalb des Existenzminimums von fünf, sechs Prozent leben will. Und dieses Milieu achtet genau darauf, ob wir die Balance hinkriegen: Die Uni einerseits nicht Verwertungsinteressen auszuliefern, wie es grünes Markenzeichen ist, aber andererseits frische Luft hineinzubringen – zum Beispiel mit einem zeitgemäßen Dienstrecht.
Herr Loske, eine letzte Quizfrage. Der Abgeordnete Reinhard Loske ist am Anfang der nächsten Wahlperiode:
A: Bildungsstaatssekretär unter Bulmahn, B: Umweltminister, oder regeneriert sich C: in der Opposition?
A kann ich für mich ausschließen. Man kann nicht freier Parlamentarier und permanenter Verteidiger der Regierungspolitik zugleich sein. Alles andere entscheiden die Wähler.
Sie müssen ja kein Amt übernehmen. Sie können sich doch in der Opposition anhören, was die 18-Prozent-Partei zur Bildung zu sagen hat.
Sie meinen wohl die 6-Prozent-Partei. Die hat ja zum Thema außer Sprechblasen nicht viel geliefert.
Im Ernst, Herr Loske: Macht es Sinn, sich in ein so komplexes Thema wie Bildung reinzuknien, wo Sie bereits als kommender Umweltminister gehandelt werden?
Absolut. Ich habe mir vorgenommen, im Wahlkampf wieder eine Uni-Tour zu machen. So wie schon 1998. Das kam gut an und hat mir sehr viel gebracht.
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