: Gerechtigkeit nach sieben Jahren
Polizeieinsatz gegen Anti-Haider-Demonstranten 1994 auf dem Gänsemarkt jetzt vom Verwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt ■ Von Kai von Appen
Der Einsatz von ZivilpolizistInnen bei den Protesten gegen den österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider auf dem Gänsemarkt am 30. Mai 1994 war rechtswidrig. Die Hamburger Polizei räumte ges-tern in einem Vergleich vor dem Verwaltungsgericht (VG) juristisch ein, dass die Maßnahme ein Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gewesen war. Politisch war der Einsatz bereits 1997 vom Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Polizeiskandal gerügt worden.
Ob auch der massive Reizgaseinsatz in Gänze als rechtswidrig einzuorden ist, bei dem zahlreiche DemonstrantInnen verletzt worden waren, vermochte das VG wegen der Flut „unzähliger Einzelvorfällen“ nicht zu klären. In diesem Punkt nahm Anwalt Johannes Santen die Klagen um der Einigung willen zurück.
Fast sieben Jahre lang hatten die Klagen von vier Betroffenen in der Aktenkammer des VG gelegen, da sie nach Auffassung der zuständigen Richter wenig Aussicht auf Erfolg hätte. Die Polizei hatte nämlich zugesichert, „eine entsprechende Taktik nicht mehr anzuwenden.“ Doch dann nahm sich Verwaltungsrichterin Sternal der Sache nochmals „von Grund auf an“ – und kam nunmehr zu einer anderen Einschätzung.
Im Verlauf einer Kundgebung des rechten „Bund Freier Bürger“ im Bürgerschaftswahlkampf 94 auf dem Gänsemarkt hatten sich BeamtInnen zweier Einsatzzüge in Zivil „zur Abschreckung“ unter die TeilnehmerInnen gemischt, um Störungen zu verhindern. Als dann doch an Absperrgittern gerüttelt wurde und vereinzelt Eier auf Gastredner Haider flogen, schossen ZivilpolizistInnen mit Tränengas und stürzten sich willkürlich auf ProtestlerInnen. Dabei wurde auch der Fernsehjournalist Oliver Neß schwer verletzt.
Die Polizei stützte später ihre Maßnahme auf eine Generalklausel im Polizeirecht, die nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht greift: „Auch kritische Versammlungsteilnehmer sind nach Definition des Bundesverfassungsgerichts Versammlungsteilnehmer“, sagte die Richterin, „wenn eine Versammlung nicht verhindert werde.“ Sie ließ dabei einfließen, dass womöglich generell der Einsatz von Zivilpolizisten bei Demos in Frage zu stellen sei: „Wie ist Ruhe in eine Versammlung zu bringen, wenn die Polizisten nicht zu erkennen sind?“
Im konkreten Fall sei die Maßnahme zumindest „untauglich“ gewesen. „Der Einsatz der Zivilpolizisten ist deshalb nicht als Bagatelle anzusehen“, so Sternal, „er ist schief gegangen.“ Daher hätten die Kläger ein Recht auf Rehabilitierung.
Die Richterin plädierte für den Vergleich, da nicht alle angegriffenen Polizeimaßnahmen im Detail mehr aufzuklären seien. Sternal: „Es ist bedauerlich, dass ein Einsatz in einem solchen Chaos endet, dass ein Gericht sagen muss, das ist nicht mehr zu klären.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen