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Genetische Säuberung der Welt

Die Reproduktions- und Gentechnologie ist sexueller Missbrauch: Der weibliche Körper wird zum Ersatzteilproduzenten – für einen Mythos namens „embryonale Stammzelle“

Werden wir die letzte Müttergeneration gewesen sein, die noch das Recht hatte,frei zu gebären?

Als ich schwanger war, besaß meine wunderbare Frauenärztin noch kein Ultraschallgerät, sodass ich meinte, einen Ultraschallspezialisten aufsuchen zu müssen. Der hatte nichts Besseres zu tun, als mich massiv unter Druck zu setzen, weil ich über 35 war – also per definitionem eine „Risikoschwangerschaft“ – und mich einem Gencheck verweigerte. Um mich für seine tolle Pränataldiagnostik zu gewinnen, erzählte er, dass er selbst mal an der Perspektive verzweifelt sei, sein an Gehirnhautentzündung erkranktes Kind könnte für den Rest seines Lebens behindert sein. Zum Glück sei das Kind gestorben.

Muss ich weiter begründen, warum ich keine Lust hatte, diesem Arzt meine Verweigerungsgründe zu erklären? Zum Beispiel, dass auch Behinderte ein erfülltes Leben haben können? Dass überhaupt nur 3 Prozent aller Gendefekte durch die Tests entdeckt würden? Dass die allermeisten Behinderungen erst durch die Geburt und danach entstünden? Dass ein bekannter Trauerforscher zu seinem Thema kam, weil sein Sohn bei einer Fruchtwasseruntersuchung durch eine Nadel am Gehirn verletzt und sprachunfähig geboren wurde? Wie massenhaft es vorkommt, dass angeblich gendefekte Kinder gesund oder nicht nennenswert behindert zur Welt kommen, während umgekehrt die Eltern behinderter Kinder sich aufgrund eines unauffälligen Gen-Ergebnisses in Sicherheit wiegen? Dass die Pränataldiagnostik also Sicherheit vorgaukelt, die es niemals geben wird? Dass sie den Weg frei macht zur Menschenzüchtung?

In welchem Ausmaß sie das getan hat, ahnte ich damals noch nicht. Inzwischen wird argumentiert, wer Embryochecks im Mutterleib zulasse, könne sich nicht ernstlich gegen PID, gegen Embryoselektion in der Petrischale, wenden, da den Frauen mit diesem Verfahren doch eine Abtreibung erspart würde. Was nicht stimmt!!! Weil die dabei angewandte Einzelzell-Diagonistik unzuverlässig ist, empfehlen Reproduktionsmediziner nach Verpflanzung des selektierten Embryos in den Mutterleib zusätzlich eine Fruchtwasseruntersuchung – und bei schlechtem Ergebnis eine Abtreibung.

„Genetische Säuberung“, nennt dies Günther Jonitz, Präsident der Berliner Ärztekammer. Der US-Biophysiker Gregory Stock aber ist stellvertretend für viele seiner Zunft überzeugt, dass die genetisch kontrollierte Zeugung die natürliche immer mehr verdrängen wird. Dumme oder kranke Kinder, sagt er, würden in den nächsten Jahrzehnten ihre Eltern verklagen, weil diese nichts zur Verbesserung ihrer Gene unternommen hätten. Dass solche Spinner direkt oder indirekt Gehör finden, zeigen die Zahlen: Laut Spiegel befürworten 48 Prozent aller Befragten die PID, 47 Prozent lehnen sie ab. Nach einer internationalen Umfrage von 1993 würden 26 Prozent der JapanerInnen, 43 Prozent der US-AmerikanerInnen, 60 Prozent der InderInnen und 80 Prozent der ThailänderInnen Gentechnik zur Steigerung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten ihrer Kinder anwenden, wenn sie könnten. In Deutschland lassen bereits rund 10 Prozent aller werdenden Mütter den Fötus in ihrem Bauch genetisch untersuchen.

Der Druck zur Qualitätsverbesserung beim Produkt Kind wird sich in den nächsten Jahren erneut enorm steigern. Werden wir die letzte Generation sein, die noch das Recht hatte, frei zu gebären? Werden wir letzten verbliebenen Gegnerinnen der Genkontrolle in acht Jahren eine Kampagne starten müssen: „Ich bekenne, ich habe nicht abgetrieben“, so wie einstmals in den 70er-Jahren umgekehrt im Stern: „Ich bekenne, ich habe abgetrieben?“

Nicht minder weit reichend sind die Folgen der In-vitro-Fertilisation, der künstlichen Befruchtung bei ungewollt kinderlosen Paaren. Die „überzähligen“ Embryonen, die dabei entstehen, sind der Rohstoff für Gentechnikers Träume, begehrter und wertvoller als Gold und Diamanten, denn aus ihnen kann man embryonale Stammzellen gewinnen. Und denen wird heute, wohlbemerkt noch ohne jede empirische Grundlage, bei Krebs oder Alzheimer eine größere Heil- und Wunderkraft angedichtet als seinerzeit dem mystischen Jungbrunnen. Obszön, diese Fantasien! Die überalterte Bevölkerung der westlichen Welt greift nach den noch nicht Geborenen, um sich die ewige Jugend zu erhalten. Manche Wissenschaftler träumen sogar schon davon, in der Medizinindustrie mit standardisierten Stammzellenlinien so reich und so unentbehrlich zu werden wie Milliardär Bill Gates mit Microsoft. Dass aufgrund unreiner Zellkulturen die Übertragung von embryonalen Stammzellen in anderes Gewebe sogar Krebs auslösen kann, wird dabei genauso verschwiegen wie vieles andere.

Und dazu gehören auch die Herstellungsbedingungen im weiblichen Körper. Der weibliche Körper lässt pro Monatszyklus nur ein bis zwei Eier reifen, also muss die „Erntemenge“ – wie in der konventionellen Landwirtschaft auch – mit Chemie, mit hormoneller Stimulation künstlich erhöht werden. Ein nicht ungefährliches Verfahren, bei dem sogar schon Todesfälle zu verzeichnen waren. Linus S. Geisler, Ex-Chefarzt in Gladbeck, hat jüngst vorgerechnet: Wenn nur 10 Prozent der Alzheimer-Kranken in Deutschland mit embryonalen Stammzellen therapiert werden sollten, wären dafür 25.000 menschliche Klone nötig, und weil für die Herstellung jedes Klons hunderte Eizellen draufgehen, bräuchte man Millionen weiblicher Eizellen.

Damit ist schon jetzt klar: Entweder wird das therapeutische Klonen zu einer Exklusivmedizin für Reiche und Superreiche. Oder aber die Frauen der westlichen Länder werden zukünftig zum Arbeitsdienst des Eierproduzierens zwangsverpflichtet – entweder im Alter zwischen 35 und 45 Jahren, wo nach gängiger Meinung doch nur noch „Risikoschwangerschaften“ produziert werden, oder besser noch zwischen 15 bis 20, wo Geburten noch nicht erwünscht sind. Oder aber, da Letzteres doch ziemlich unwahrscheinlich erscheint, die Eierproduktion für das Heer der reichen Kranken in der Ersten Welt wird an das Heer der weiblichen Armen in der Dritten Welt delegiert. Wetten, dass die feinen Herren schon längst unterwegs sind in den Slums von Nairobi, Kalkutta oder Bogotá, um dort ein paar Geldscheine flattern zu lassen?

In Deutschland lassen bereits 10 Prozent der Mütter den Fötus in ihrem Bauch genetisch untersuchen

Manche Genetiker versprechen aber nicht nur die Heilung von Krebs und Alzheimer, sondern auch – wenn das Herz verfettet und die Leber kaputtgesoffen ist – die Züchtung von Ersatzorganen aus embryonalen Stammzellen. Wenn sich herausstellen sollte, dass die Züchtung im Reagenzglas die Möglichkeiten der Technik übersteigt, was wahrscheinlich ist, dann müssten die Organe in Frauenbäuche verpflanzt und nach einem gewissen Reifestadion wieder abgetrieben werden.

Straßenschwatz in zehn Jahren: „Na, wen trägst du denn heute aus?“ „Na ja, immer noch die Niere von Jürgen Schrempp. Am Donnerstag hab ich Geburtstermin. Und du?“ „Na, das Raucherbein von Gerhard Schröder. Bisher mein lukrativster Job.“

UTE SCHEUB

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