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Kein Dammbruch

Die Forschung mit embryonalen Stammzellen sollte erlaubt sein – solange die Embryonen noch nicht in der Gebärmutter eingenistet sind

Vor der Einnistung ist ein Embryo weit von einem Menschen entfernt. Es besteht nur aus zwei Zelltypen

Dürfen wir „überzählige“ menschliche Embryonen für die medizinische Forschung verbrauchen? Ich denke: Ja.

Wer sich allerdings die Befürworter einer Forschung an Stammzellen anhört, der möchte auch als Sympathisant zuweilen im Boden versinken: So schafft es etwa FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt, ganze Talkshows durchzustehen, ohne ein ethisches Argument zu bringen außer „die Engländer machen es doch auch“. Der Kanzler betont unterdessen – ohne sich wirklich festzulegen – die „sozialethische Dimension“: Nämlich „Arbeit und Wohlstand“ durch „Teilhabe an der Schlüsseltechnologie dieses Jahrhunderts“. Das sind Argumente, die zu Recht Widerstand provozieren.

Die Gegner sprechen dagegen fast immer vom „Dammbruch“. Auch der Bundespräsident bedient sich dieser Metapher – obwohl er das Wort nicht ausdrücklich verwendet. In seiner „Berliner Rede“ warnte er, dass „das ethisch Verantwortbare stets neu den technischen Möglichkeiten angepasst“ werde. Dass der „perfekte Mensch“ zum „Maßstab“ werde, „Auslese und schrankenlose Konkurrenz zum obersten Lebensprinzip“.

Doch es ist ratsam, nüchtern zu bleiben: Bei den embryonalen Stammzellen geht es nicht um den „perfekten Menschen“, sondern darum, den nicht perfekten besser heilen zu können, sein Leben zu verlängern. Ein besseres Verständnis der Zellbiologie öffnet den Weg zu vielen neuen Therapien. Dazu ist es nötig, die Mutter aller Zellen, die embryonale Stammzelle, genau zu erforschen.

Und um mit einem populärem Missverständnis aufzuräumen: Es ist keinesfalls so, wie Ute Scheub hier schrieb, dass man tausende von Embryonen verbrauchen muss. Embryonale Stammzellen können sich beliebig oft teilen. Einmal kultiviert, kann man theoretisch die ganze Welt mit der Zellkultur aus einem einzigen Embryo versorgen. In der Praxis gelingt das beim Menschen bislang nur für 250 Generationen. Bei der schon länger erforschten Maus aber stammen schon jetzt 90 Prozent der Versuchszellen aus nur fünf Zellkulturen.

Es wird also ausreichen, nur die so genannten überzähligen Embryonen zu verwenden. Das sind Embryonen, die nach einer künstlichen Befruchtung im Reagenzglas (IVF) in eine Gebärmutter verpflanzt werden sollten. Weil die Mütter aber davon zurücktraten, sind diese Embryonen nun totgeweiht, denn nach dem Gesetz dürfen sie niemand anderem eingepflanzt werden – es würden sich auch kaum Kandidatinnen finden. Bis zum vergangenen Jahr sind davon nach Regierungsangaben allein in acht Bundesländern sechzig angefallen. Allerdings werden nur noch zehn aufbewahrt – der Rest kam in den Müll. Dies ist ethisch wohl kaum edler als eine Verwendung für die Medizin.

Natürlich könnte man deswegen IVF als unethisch ablehnen. Das wäre aber zynisch: Schließlich entstünde so weniger, nicht mehr Leben. Und wer wollte einem Paar das Recht absprechen, alles zu versuchen, um Kinder zu bekommen?

Im menschlichen Körper gibt es mehr als 200 verschiedene Zelltypen. Momentan können sich nur die embryonalen Stammzellen in jeden dieser Typen verwandeln. Es gibt aber berechtigte Hoffnung, dies auch mit so genannten adulten Stammzellen zu erreichen – also mit Reparaturzellen des erwachsenen Körpers. Dafür müsste man diese bereits recht spezialisierten Zellen allerdings „reprogrammieren“ – und um diese Prozesse wirklich zu verstehen, ist eine Forschung an den embryonalen Alleskönnerzellen unvermeidbar. Außerdem ist eine erfolgreiche Reprogrammierung ethisch nicht so problemlos, wie dies immer dargestellt wird: Schließlich ist nicht auszuschließen, dass auch die reprogrammierte Zelle das Potenzial gewinnt, sich zu einem ganzen Menschen zu entwickeln. Und genau diese Fähigkeit ist es ja, die embryonale Stammzellen besitzen und die uns daher zögern lässt, sie zu verwenden.

Die Gegner der Embryonenforschung, so auch Johannes Rau, argumentieren jedoch nicht nur mit dem Potenzial eines Embryos, zu einem Menschen zu werden – eines ihrer zentralen Argumente ist, dass bereits das Embryo die volle Menschenwürde besitze, und zwar ab dem Zeitpunkt seiner Befruchtung. Und so ist es in der Tat im Embryonenschutzgesetz festgelegt. Rau dazu: Die Befruchtung sei der einzig „logische“ Beginn des vollen Embryonenschutzes. Doch das ist nur auf den ersten Blick einleuchtend.

Nicht nur in der biblischen Tradition beginnt das Menschsein erst mit der Geburt. Auch die UN-Menschenrechtskonvention verknüpft die Würde des Menschen damit: „Alle Menschen sind frei und gleich an Rechten geboren.“ Erst die Abtreibungsdebatte zwang hierzulande die Verfassungsrichter, eine frühere Grenze zu ziehen, die im Embryonengesetz nachvollzogen wurde. Sicher wäre es nicht mehr tragbar, einem menschlichen Wesen erst ab der Geburt den Schutz der Menschenwürde zuzuerkennen. Schon weil es ab der 22. Woche gelingen kann, es außerhalb der Mutter am Leben zu halten.

Die Menschenwürde aber bereits mit der Befruchtung, und damit noch vor der Einnistung in die Gebärmutter, zu verleihen ist nicht weniger problematisch. Es stellt sich nämlich die Frage, ob ein wenige Tage altes Embryo als eigenständig gesehen werden kann: Denn ohne die Mutter hat es keine Entwicklungschance – es wird niemals ein Mensch daraus. Auch das Verfassungsgericht ist keineswegs auf die Befruchtung als entscheidendes Ereignis festgelegt, worauf die Präsidentin Jutta Limbach erst vor drei Tagen hinwies. Denn in ihren Abtreibungsurteilen habe sich das Gericht nur mit dem Recht des Embryos nach Einnistung in die Gebärmutter befasst.

Es ist erstaunlich, welche moralische Entrüstung die Debatte um die embryonalen Stammzellen auslöst. Grausame Tierversuche, brennende Scheiterhaufen gekeulter Kühe und die Kulleraugen abgeschlachteter Robben können unsere Gesellschaft nicht so sehr bewegen. Der Mensch ist eben immer noch „die Krone der Schöpfung“, „Gottes Ebenbild“. Eine Arroganz, die uns einen Zellhaufen aus hundert identischen Zellen stärker schützen lässt als einen erwachsenen Menschenaffen. Typisches Zeichen dafür ist, dass ein Beamtenausschuss der EU verhindern durfte, dass man unsere Haustiere gegen die grausame Maul- und Klauenseuche impft. Wird das Embryonenschutzgesetz tatsächlich überarbeitet, so viel ist klar, würde nicht nur das Parlament darüber befinden – es würde auch eigens der Fraktionszwang dafür aufgehoben.

Faktisch jedoch ist ein Embryo vor der Einnistung weit von einem Menschen entfernt. Er besteht aus gerade zwei Gruppen von jeweils ein paar Dutzend identischen Zellen: die Äußeren, die den Mutterkuchen bilden, und die Inneren, aus denen sich das eigentliche Embryo formt.

Es geht nicht um den perfekten Menschen, sondern darum, den nicht perfekten besser heilen zu könnenTheoretisch kann man die ganze Welt mit der Zellkultur aus einem einzigen Embryo versorgen

Und so lebt unsere Gesellschaft auch bequem mit dem Widerspruch, dass ein Embryo im Reagenzglas bestens geschützt ist, durch gängige Verhütungsmethoden aber gleich massenhaft getötet wird. So hindern die Spirale – und zuweilen auch die Mini-Pille – einige Tage alte Embryonen am Einnisten in der Gebärmutter. Und die Grünen, die jetzt so vehement für den totalen Schutz von Embryonen eintreten, machten sich um deren Schutz wenig Gedanken, als sie noch für eine ersatzlose Abschaffung des Paragrafen 218 stritten.

Die Embryonenforschung wird in der aktuellen Debatte regelmäßig mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) in einen Topf geworfen. Dabei haben die Themen wenig miteinander zu tun – außer dass das Embryonenschutzgesetz beides verbietet. Daher nur kurz zur Klarstellung: Wer die Forschung mit embryonalen Stammzellen für denkbar hält, muss noch lange nicht für PID eintreten. Im Gegenteil, läuft sie doch auf eine Selektion von Menschen hinaus. Schließlich wird dort das Erbgut des Embryos nur analysiert, um schon vor der Einpflanzung in der Gebärmutter zu sortieren. Dabei sind theoretisch alle Kriterien denkbar: Haarfarbe, Größe, Geschlecht, vielleicht sogar einmal Intelligenz – was immer sich dem Genom entlocken lässt.

Ob man die PID unter Strafe stellen kann, ist eine andere Frage. Denn warum sollte man ein Embryo im Reagenzglas schützen, dass dann später straffrei abgetrieben werden kann? Doch es muss um jeden Preis verhindert werden, dass PID auch dann angewandt wird, wenn es nicht um die Vermeidung extremer Erbkrankheiten geht. Das wäre tatsächlich der Einstieg in die Zucht des perfekten Menschen.

MATTHIAS URBACH

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