: „Jetzt ist Diepgen gefragt“
Die ehemalige Finanzsenatorin und heutige SPD-Landesvize Annette Fugmann-Heesing bezweifelt, dass der Regierende Bürgermeister Vorschläge für ein notwendiges Sparprogramm vorlegen kann
Interview ROBIN ALEXANDER und RICHARD ROTHER
taz: Frau Fugmann-Heesing, Sie saßen als ehemalige Finanzsenatorin mehrere Jahre im Aufsichtsrat der Bankgesellschaft Berlin. Welchen Anteil haben Sie persönlich an der Misere des Geldinstituts?
Annette Fugmann-Heesing: Jeder, der in einem Aufsichtsrat eines Unternehmens sitzt, trägt auch Verantwortung für dieses Unternehmen. Diese muss er im Rahmen seiner Möglichkeiten wahrnehmen. In der Bankgesellschaft haben wir allerdings die Situation gehabt, dass noch vor wenigen Wochen der Wertberichtigungsbedarf unklar war – trotz mehrmaliger Nachfragen im Aufsichtsrat.
Ist der Aufsichtsrat bewusst hinters Licht geführt worden?
Ich will nicht mit Spekulationen arbeiten. Ich habe allerdings den Eindruck, dass das Verhalten in den verschiedenen Tochterunternehmen der Bankgesellschaft von unterschiedlicher Qualität war. Beim Aubis-Geschäft der Berlin Hyp wurde zum Beispiel ganz bewusst an Erkenntnissen von Prüfern vorbeigearbeitetet, das ist ein hochproblematischer Fall. In der Landesbank gab es Maßnahmen von Vorständen, zum Beispiel die Unterzeichnung von Freistellungserklärungen, die nicht in den Aufsichtsrat eingebracht wurden. Das Kontrollgremium hätte darüber aber informiert werden müssen.
Kritiker sagen, die Unkontrollierbarkeit der Bankgesellschaft liege an der Struktur des Geldinstituts, das sich aus öffentlich-rechtlichen und privaten Banken zusammensetzt.
Ich teile die Kritik hinsichtlich der Frage, ob es durchgängige Kontrollmechanismen innerhalb der Bankgesellschaft gibt. Ein einheitliches Controlling bis in die Unterabteilungen der Tochtergesellschaften hat lange Zeit gefehlt. Das wird jetzt intensiv aufgebaut. Der Umstand, dass es öffentlich-rechtliche und private Teilbanken innerhalb eines Konzerns gibt, hat mit der Kontrollierbarkeit an sich nichts zu tun. Im konkreten Fall sind in der Ursprungskonstruktion nicht genügend Controllingmöglichkeiten eingebaut worden.
Ich möchte auf einen anderen Umstand hinweisen, der mir die Hauptursache des Problems zu sein scheint. Bis zum Ausscheiden von Klaus Landowsky war der Fraktionschef der größten Abgeordnetenhausfraktion gleichzeitig Vorstand einer Tochtergesellschaft. Das bedeutet, dass diese Person aufgrund ihres politischen Gewichts und ihrer Nähe zum Regierenden Bürgermeister eine andere Einflussmöglichkeit hatte, als ihn normalerweise ein Vorstandsvorsitzender einer Teilbank hat. Das hat offenbar zu Geschäften geführt, die ohne diese Verquickung von wirtschaftlicher und politischer Macht nicht möglich gewesen wären.
Hätten Sie Ihren Einfluss als Finanzsenatorin deutlicher zur Geltung bringen können, um solche Strukturen aufzubrechen?
Gegen die Person von Herrn Landowsky hätte ich nur etwas unternehmen können, wenn ich Fakten – wie etwa die nicht ordnungsgemäße Kreditvergabe an Aubis – gekannt hätte. Im Übrigen hat das Ganze noch eine machtpolitische Seite: Ich habe in den vier Jahren als Finanzsenatorin die Landowsky-Mentalität in Berlin nicht ohne Erfolg bekämpft. Ich habe in meiner ersten Legislaturperiode in Berlin nur nie geglaubt, das Duo Diepgen/Landowsky aufbrechen zu können. Aus heutiger Sicht wäre das notwendig gewesen.
Ihr Name ist mit einem rigiden Sparkurs verknüpft. Million um Million wurde mühsam zusammengekratzt. Jetzt gibt es auf einen Schlag 6 Milliarden neue Schulden – sind Ihre Bemühungen dadurch überfüssig geworden?
Ganz im Gegenteil. Jetzt zeigt sich, wie wichtig es ist, dass man finanzpolitisch einen Kurs der Wahrheit und der Klarheit fährt. Wo stünden wir heute, wenn wir 1996 nicht damit angefangen hätten? Nach der Bankenkatastrophe müssen wir in diesem Jahr insgesamt 10 Milliarden Mark neue Schulden aufnehmen, das ist ein Viertel des Landeshaushalts. Mit den Folgen dieser zusätzlichen Kreditaufnahme und den nötigen Zinsausgaben muss Berlin noch viele Jahre leben. Das heißt für heute: Der Konsolidierungskurs muss noch verstärkt werden. Dazu muss auch politische Klarheit herrschen, niemand – auch nicht der Regierende Bürgermeister – darf die Probleme klein reden oder so tun, als lösten sie sich von selbst.
In der Bevölkerung macht sich die Stimmung breit, seit Jahren Sparopfer gebracht zu haben, die alle umsonst waren. Wie will die große Koalition da noch die Verschärfung des Sparkurses vermitteln?
Ich verstehe diejenigen, die sehr kritisch fragen, ob die Krise der Bankgesellschaft nicht auf unser aller Rücken ausgetragen wird. Das ist so. Die Folgen der Bankenkrise sind aber nur zu bewältigen, wenn Berlin bereit ist zu handeln. Das heißt nicht, dass die bisherigen Sparanstrengungen umsonst waren. Ohne diese wäre der Schuldenberg noch größer. Heute müssen wir bei einem 40-Milliarden-Etat 7 bis 8 Milliarden an Zinszahlungen aufbringen. Wenn wir dieses Geld einsetzen könnten für Bildung und Wissenschaft, hätten wir eine rosige Situation.
Sehen Sie überhaupt noch Sparmöglichkeiten?
Es müssen Strukturentscheidungen getroffen werden. Ich erwarte, dass die CDU morgen im Koalitionsausschuss mit konkreten Vorschlägen dafür kommt. Jetzt ist Diepgen gefragt. Ich bin aber nicht sicher, ob das mit diesem Regierenden Bürgermeister noch gelingt. Noch in dieser Woche muss ein Sanierungsprogramm auf den Tisch. Das darf nicht nur den Haushalt 2001 umfassen, wie das Diepgen bereits angedeutet hat. Die Bankenkrise belastet den Haushalt in Zukunft jährlich mit rund einer halben Milliarde Mark, wenn man Zinszahlungen, Dividenden- und Steuerausfälle zusammenrechnet. Es ist die Aufgabe des Regierenden Bürgermeisters und des Finanzsenators Peter Kurth (CDU), hier langfristig wirksame Lösungen zu finden.
Wo kann in den nächsten Jahren gespart werden? Und vor allem: wo nicht?
Zunächst müssen Diepgen und Kurth ihre Vorschläge vorlegen. Das Problem können wir nur in einer Gesamtkonzeption lösen, und ich halte es nicht für sinnvoll, von vornherein einzelne Bereiche auszuschließen. Die Freiräume aber, die wir uns durch die Konsolidierungspolitik der vergangenen Jahre geschaffen haben, sind verspielt worden.
Hat die große Koalition noch die Kraft, die Krise zu meistern?
Das wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Die Koalition hat nur dann eine Existenzberechtigung, wenn sie die Krise löst. Wenn sie bereit ist, schwierige Entscheidungen zu fällen. Wir brauchen keine Koalition, um die Kreditaufnahme jährlich auf 10 Milliarden Mark zu erhöhen.
Wenn Diepgen die Kraft dazu fehlt, stellt sich dann die Frage nach einer Alternative zur großen Koalition?
Ich hoffe immer noch darauf, dass Diepgen bereit ist zu handeln. Das wird sich in den nächsten Tagen zeigen. Wenn dies nicht geschieht, wird man danach weiter überlegen müssen.
Eine Alternative wäre eine rot-rot-grüne Koalition. Würden Sie in einer solchen Konstellation politische Verantwortung übernehmen?
Wir haben bis 2004 eine große Koalition, die die Krise der Stadt zu meistern hat. Über die Zeit danach spekuliere ich nicht.
Ist ein rot-rot-grünes Bündnis mittelfristig denkbar?
In Berlin ist für mich nur eine Konstellation denkbar, die bereit ist, die Probleme der Stadt entschieden anzupacken.
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