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Strafe, die Heilung ist

Klinikum Nord: Haus 18 ist Krankenhaus, nicht Knast. Die Menschen hier warten auf sich, denn Zeit macht sie nicht frei  ■ Von Sandra Wilsdorf

Mit einem Bein ist sie schon in ihrem neuen Leben: Seit neun Monaten arbeitet sie in einem Hotel. Draußen. Sie versteht sich gut mit den Kollegen und hat ihnen erzählt, dass sie in einem Krankenhaus lebt. Schon seit drei Jahren. Sie hat ihnen nicht erzählt, warum: „Es wird so viel gemobbt“, sagt Sabine*. Sie ist Patientin der Forensischen Psychiatrie des Klinikums Nord, zu der auch Haus 18 gehört.

Vor vier Jahren hat Sabine versucht, ihren Freund umzubringen. „Ich leide unter einer Persönlichkeitsstörung und bin Alkoholikerin.“ Zu drei Jahren und drei Monaten hat das Gericht sie dafür verurteilt, weil der Alkohol sie „vermindert schuldfähig“ gemacht hat. Sie hat sieben Monate in Untersuchungshaft gesessen. Erst wollte sie auf keinen Fall in die Psychiatrie, jetzt ist sie froh, „denn ich habe hier ein Leben bekommen, vorher hatte ich keines“. Leben heißt Perspektive: Sie hat ihren Beruf der Hauswirtschafterin per Fernstudium vertieft, hat Praktika in der Krankenhausküche sowie einem Hotel in der Innenstadt gemacht und hat jetzt den Job.

Es war ein langer Weg: Ein Jahr lang war sie „auf Geschlossener“. Dann kamen begleitete Spaziergänge auf dem Gelände, dann nach draußen, „beim ersten Mal ging es zu einem Kongress der Anonymen Alkoholiker im CCH“. Inzwischen darf Sabine ihre Töchter, ihre Schwester und Freunde besuchen, hat gerade zehn Tage Urlaub und wartet auf das Entlassungsgutachten. Denn nicht die Zeit entscheidet, ob sie ihre Strafe verbüßt hat, sondern Ärzte.

Die Vollzugslockerungen, über die in der Öffentlichkeit heftig diskutiert wird, seitdem ein Patient des Maßregelvollzugs aus Haus 18 zwei Frauen auf dem Klinikgelände vergewaltigt hat, sind laut Gesetz „Bestandteil der auf Rehabilitation zielenden Therapie“. Sie sind gleichzeitig Prüfstein für den Fortschritt in der Therapie und Vorbereitung auf die Gesellschaft, in die der Patient irgendwann wieder integriert werden soll. Bevor jemand unbegleiteten Ausgang bekommt, müssen alle zustimmen, die ihn behandeln, pflegen, betreuen. Die derzeitige Debatte sorgt in der Forensik für erhebliche Unruhe: „Der Druck von den Patienten steigt, denn die realisieren, dass ihre Rehabilitationsmöglichkeiten sinken“, sagt Guntram Knecht, leitender Arzt der forensischen Psychiatrie am Klinikum Nord.

Dabei sei noch nie ein Patient aus Haus 18 ausgebrochen, mit Ausnahme von „Heidemörder“ Thomas Holst 1996, dem dabei allerdings eine Therapeutin geholfen hatte. Im vergangenen Jahr kamen in Hamburg auf 100 forensische Patienten 1,6 Entweichungen. „Dazu zählt auch, wenn jemand seine Urlaubs- oder Besuchszeit überzogen hat“, erklärt Knecht. Alle Patienten seien von alleine zurück gekommen. Zum Vergleich: Bundesweit kamen auf 100 Patienten sieben bis 36 Entweichungen. Und auch in Bayern waren es wesentlich mehr als in Hamburg.

Die Bandbreite der Delikte der Forensik-Patienten reicht von Bedrohung oder Diebstahl bis hin zu mehrfachem Mord. „Dabei ist das Delikt nur ein sehr grober Hinweis auf die Gefährlichkeit eines Patienten.“ So kann ein Dieb, der aber die psychische Struktur eines Gewaltverbrechers hat, gefährlicher sein als jemand, der seine Mutter umgebracht hat, weil er unter Wahnvorstellungen litt, welche die Therapie inzwischen aber beseitigt hat.

Während die Rückfallquote im normalen Strafvollzug bei 60 Prozent liegt, ist sie in der Forensik geringer: Bei einigen Erkrankungen liege sie bei Null, bei den am schwersten festzustellenden Persönlichkeitestörungen bei 20 Prozent. „Mit einer entsprechenden Nachbetreung können wir sie auf zehn Prozent senken“, hofft Knecht. Für ihn ist klar: „Täterbehandlung ist Opferschutz.“ Dabei hat die Forensik durchaus Probleme: Die Überbelegung beispielsweise.

Im Klinikum Nord gibt es zur Zeit 81 Patienten, aber offiziell nur 60 Betten. Der Erweiterungsbau wird erst im kommenden Jahr fertig, derweil werden aus Einzel- Doppelzimmer, aus Doppel- werden Dreibettzimmer und aus manchem Aufenthaltsraum ein Schlafraum. Außerdem gibt es zu wenig Personal. Wegen des Sparens, „aber auch, weil es zu wenig qualifiziertes Personal für diese schwierige Arbeit gibt“, sagt Knecht. Viele arbeiteten lieber in einer Ambulanz für Depressive, „statt immer öffentlich am Pranger zu stehen“.

Derzeit liegen die Nerven der Patienten blank. „Wenn die Türen zugehen, steigt der Druck im Haus“, sagt Knecht. Und Holger* berichtet von Patienten, die aus dem Urlaub zurück- oder von ihren Arbeitsplätzen weggeholt wurden, damit ihre Lockerungen erneut überprüft werden können. Politische Kosmetik, für Holger selbst ist sie ohne Belang. Er hat ohnehin keine Lockerungen. Er ist seit elf Jahren hier. Als vorerst letzte Station. Mit 14 kam er ins Heim, war im Jugendvollzug, später im Gefängnis. „Es waren immer so Sachen wie Fahren ohne Führerschein in geklauten Autos, Diebstahl und so. Aber irgendwann ist es explodiert.“ Er beging ein schweres Gewaltverbrechen, er will nicht sagen, welches. „Ich muss wohl noch fünf bis sechs Jahre warten, bis ich mal nach Lockerungen fragen kann.“

Er hat ausgerechnet, dass er die im normalen Knast vielleicht schon längst hätte: „Ich war voller Drogen, also hätte ich vermutlich kein Lebenslänglich bekommen.“ Bei guter Führung wäre er vielleicht jetzt schon Freigänger und hätte in der Zeit davor eine Ausbildung gemacht. Und so? Dreht er seit elf Jahren Schrauben, „und wenn ich irgendwann rauskomme, bin ich Sozialhilfeempfänger“. Denn in der Forensik gibt es nur zwei qualifizierte Arbeitsplätze, einen in der Tischlerei und einen in der Fahrradwerkstatt. „Da müssen wir unbedingt etwas machen“, sagt Hans-Jürgen Strufe, ein Pfleger.

Er und seine Kollegen finden es schlimm, dass in der öffentlichen Diskussion alle psychisch Kranken kriminalisiert würden. Und Knecht sagt: „Wir haben von der Gesellschaft eine schwierige Aufgabe übernommen und erwarten ein bisschen mehr Solidarität.“ Die Gesellschaft tue jetzt so, als wäre der Maßregelvollzug das Problem, dabei sei es sie selbst, die jedes Jahr zehn Prozent mehr psychisch kranke Straftäter hervorbringe.

*Auf Wunsch der Patienten verzichtet die Redaktion auf Fotos und Namensnennung

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