: Es ging um Ansehen, Geld und Ehre
Wegen Mordes an drei Verwandten in der Silvesternacht stehen seit gestern zwei junge Afghaner vor Gericht
Es geschah an Silvester in Neukölln. Nach Mitternacht, als der Krach auf den Straßen explodierte, Raketen in den Himmel stiegen, Menschen sich in heiterer Betrunkenheit umarmten, fanden Feuerwehrmänner in einer Wohnung eines sechsstöckigen Neubaus einen blutigen Tatort vor: Leichen im Flur, im Wohnzimmer und im Schlafzimmer. Bei den Opfern handelte es sich um die 32-jährige Nezara Z., ihren 41-jährigen Onkel sowie den 23-jährigen Cousin. Auf die Opfer war nicht nur geschossen worden, die Täter hatten auch mit Messern auf sie eingestochen. Allein bei Nezara Z. wurden 50 Schnittwunden festgestellt. Und selbst erfahrene Polizeibeamte sagten später, sie hätten selten Spuren eines so schrecklichen Blutrausches gesehen.
Der Prozess um den dreifachen Mord begann gestern vor dem Landgericht. Angeklagt sind Magid Z. und Badshah Z. Die Schuld der beiden Afghaner scheint eindeutig: Der schmächtige Magid Z. war beim Eintreffen der Polizei noch mit blutbefleckter Kleidung in der Wohnung gestanden, Badshah Z. wurde wenige Stunden später festgenommen. Auch Zeugen haben das Unheil mitangesehen: die drei Kinder des Opfers Nezara Z. sowie eine Frau, die sich damals ebenfalls mit ihren Kindern in der Wohnung befand.
Die Strafmündigkeit von Magid Z. hat mittlerweile ein medizinisches Gutachten erbracht. Demnach ist der Junge entgegen seinen ersten Behauptungen nicht 13, sondern mindestens 16 Jahre alt. Und beim Prozessauftakt gab Magid Z. gestern denn auch leise zu, er wisse nicht, wann er geboren sei, vielleicht ja wirklich 1983, in Afghanistan.
Vor Gericht stehen beide nun wegen grausamen Mordes an Verwandten. Zwar haben die Beschuldigten bislang stets geschwiegen, doch die Suche nach dem Tatmotiv hat ein verworrenes Familiendrama zutage treten lassen. Bei dem 29-jährigen Angeklagten Badshah Z. handelt es sich um den Schwager, bei Magid Z. um den Pflegesohn der getöteten Nezara Z. Alle Beteiligten kommen aus der afghanischen Provinz Paktia. Und bei dem Stamm der Patschunen, dem sie angehören, ist es Brauch, dass eine Frau nach dem Tod ihres Mannes dessen Bruder heiratet. Auch wenn sie schon seit zwölf Jahren in Deutschland lebt.
Als Nezara Z.s Mann vor einem Jahr an Krebs starb, erhob dessen Bruder Badshab Z. demnach nicht nur Anrechte auf seine Schwägerin, sondern auch auf die 80.000 Mark, die sie geerbt hatte. Nezara Z. wollte jedoch in diese neue Liaison nicht einwilligen. Unstimmigkeiten traten auf. Nicht nur zwischen ihr und dem Schwager, sondern auch zwischen den beiden Familien. Es ging um Ansehen, Geld und unterschiedliche Lebensentwürfe. Auch Nezaras Pflegesohn Magid Z., ein Neffe des verstorbenen Ehemanns, mischte sich ein. Und am Ende zogen er und der sich betrogen fühlende Schwager mit Messern und einer Pistole los, um Nezara Z. zur Rettung der Ehre zu töten. Die beiden anderen Verwandten mussten sterben, weil sie nicht genügend auf die Frau eingewirkt hatten. So wollen es die Ermittlungen der Polizei ergeben haben.
Der Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der Angeklagte Magid Z. könnte erst 16 Jahre alt sein, begründet die Richterin. Auch seien zwei Familienclans in Afghanistan in den Fall verwickelt. Angehörige der Opfer haben bereits Todesdrohungen gegen die Familie der Täter ausgesprochen, einzelne Familienmitglieder seien schon auf der Flucht. In einem öffentlichen Prozess könnten die Angeklagten nicht unbefangen aussagen. Mit einem Urteil wird nicht vor Juli gerechnet.
KIRSTEN KÜPPERS
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