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Tausend Brunnen, tausend Papiere

Niger, das zweitärmste Land der Welt, will in das Schuldenerlassprogramm von Weltbank und IWF aufgenommen werden. Aber die von den Gebern geforderte Armutsbekämpfung gestaltet sich schwierig. Das Nachbarland Burkina Faso fährt besser

aus Niamey SANDRA VAN EDIG

Ein Konvoi schwerer Geländewagen rauscht über die Teerstraße. Offene Jeeps mit aufgepflanzten Maschinenpistolen begleiten Minister, Berater und schließlich den Präsidenten der Republik hinaus aus der Hauptstadt. Das ist in diesen Monaten in Niger ein fast alltägliches Schauspiel. Seit Wochen durchkämmt Präsident Mamadou Tandja auf diese Weise seinen Sahelstaat. Unter dem Motto „Tausend Klassen, tausend Dämme, tausend Brunnen“ eröffnet er Schulräume, setzt Grundsteine und gibt Ratschläge beim Brunnenbau.

Die staatsmännische Mission ist verknüpft mit der neuen Entschuldungskampagne der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds für die ärmsten Länder der Welt. Niger ist das zweitärmste Land der Welt und bewarb sich letztes Jahr für die Teilnahme an dieser Kampagne.

Aufnahmebedingung ist die Erstellung eines Strategiepapiers im Kampf gegen die Armut. Das ist „eine Art Leitfaden für das Land, um seine Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen“, erklärt Geoffrey Bergen, Weltbankvertreter in Niger. Nigers Regierung verpflichtet sich dadurch, Armutsbekämpfung zum Schwerpunkt seiner Politik zu machen. Ein vorläufiges Strategiepapier wurde bereits erarbeitet, bis Ende 2001 soll das endgültige Dokument vorliegen.

Mehr Export, mehr Investitionen sind die Schlagwörter des vorläufigen Papiers. „Unser Land braucht mehr Einnahmen, ansonsten stecken wir schnell in der nächsten Schuldenkrise“, sagt Koautor Maina Boukar. Allerdings werde auch viel Gewicht auf Gesundheit und Bildung gelegt: „Überall im Land sollen neue Krankenstationen eingerichtet werden, auch die Landbevölkerung soll Zugriff auf die wichtigsten Medikamente haben.“ Ein entsprechendes Programm ist bereits angelaufen, ausgeführt von staatlichen Entwicklungsgesellschaften. Diese Gesellschaften wurden in den 80er-Jahren unter der Militärdiktatur eingerichtet – eine Ära, die in Niger heute gerne als goldenes Zeitalter verherrlicht wird. Aus diesem Grund versucht die jetzige Regierung, die alten Strukturen wieder zu reaktivieren.

Doch die Zeiten haben sich geändert. „Heute gibt es eine Zivilgesellschaft, die unbedingt in der Entwicklungspolitik berücksichtigt werden muss“, mahnt Christoph Courtin, Vorsitzender des Zusammenschlusses der internationalen Nichtregierungsorganisationen in Niger. Er befürchtet, dass die Regierung das nicht einsieht. Tatsächlich wirken die Arbeitssitzungen der Regierung, zu denen einige zivilgesellschaftliche Vertreter eingeladen werden, eher wie Alibiveranstaltungen. „Es gibt überhaupt keine öffentliche Debatte über dieses Papier“, kritisiert auch der ehemalige Finanzminister Saidou Sidibé.

Allerdings ist die Zivilgesellschaft in Niger jung und gilt als unerfahren im Führen solcher Diskurse. „Das ist der große Unterschied zu Burkina Faso“, stellt Courtin fest. Im Nachbarland sei die Zivilgesellschaft viel besser verankert und stärker an der Ausführung der Armutsbekämpfungsprojekte beteiligt.

Burkina Faso nimmt bereits länger an der internationalen Entschuldungskampagne teil. Ihr endgültiges Strategiepapier zur Armutsbekämpfung hat die Regierung bereits erarbeitet. Nun steht einer formellen Entschuldung nichts mehr im Wege.

Und Experten bringen bereits erste Erfolgsmeldungen aus Burkina Faso. Die Sozialausgaben der Regierung sind bereits von 110 Millionen US-Dollar pro Jahr auf 140 Millionen gestiegen. In Niger aber würde auch eine Entschuldung kein Geld für Soziales freisetzen, da der nigrische Staat sowieso seit Jahren keinen Schuldendienst mehr geleistet hat.

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