: Papierkrieg um Geldsegen
Wenn man es mit den Geldverteilern aus Brüssel zu tun hat, hilft es wenig, geltende Rechtsvorschriften zu ändern
von SABINE HERRE
Die Lage in den Grenzregionen ist besser als erwartet. Und sie könnte in Zukunft, nach der Osterweiterung der EU, noch besser werden. So lassen sich die Erlebnisse der taz-Korrespondenten zusammenfassen, die elf Wochen lang durch diejenigen Regionen Europas reisten, die an Grenzen liegen. An Grenzen zu den Kandidatenländern, nach Ungarn, Polen und Tschechien. Aber auch an Grenzen, die eine erweiterte EU schon bald vom Rest Europas trennen werden: an die estnisch-russische etwa. „Narva und Iwangorod, das sind Tag und Nacht, Wirtschaftswunder und Kriegsökonomie“, schrieb unser Moskaukorrespondent Klaus-Helge Donath darüber. Von Rhein und Maas, wo die bereits 1976 gegründete Euregio ein Vorbild für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Ost und West im Bereich der Sozialpolitik sein könnte, bis in den hohen Norden, an die Barentssee, führte der Weg der taz-Serie „Grenzregionen“. Ab heute ist sie als Dokumentation (siehe Kasten) erhältlich.
Doch wenn die Grenzregionen von der größeren Durchlässigkeit ihrer Grenzen profitiert haben – sind die Forderungen der Regierungen nach einem speziellen EU-Förderprogramm dann nicht überflüssig? Und könnte der deutsche Arbeitsmarkt nicht auf eine siebenjährige Übergangsfrist verzichten?
Das Burgenland und Niederbayern sind die eindeutigen Gewinner der vergangenen zehn Jahre. Wer als deutscher Unternehmer in Westungarn oder Südböhmen billig produzieren lässt, baut in Deutschland Arbeitsplätze ab und steigert seine Wettbewerbsfähigkeit. Da die Lage der Region jedoch zugleich viel neues Geld von aus- wie inländischen Investoren anzog, ist die Arbeitsplatzbilanz letztendlich eine positive.
Das westrumänische Satu Mare dagegen profitierte vom Arbeitskräftemangel in Ostungarn, hier gibt es eine der niedrigsten Arbeitslosenraten in einem Kandidatenland der zweiten Reihe. Gut ausgebildete Arbeitskräfte fehlen aber auch bereits in der – ansonsten krisengeschüttelten – bayrischen Bauwirtschaft. Dort hat ein Wettbewerb um Lehrlinge eingesetzt, in keiner Branche erhalten sie mehr Geld als auf dem Bau. Arbeitskräfte aus dem Osten sind willkommen, zumal gerade Tschechen als sehr gut ausgebildet gelten. Was dazu führt, dass inzwischen nicht mehr nur einfache Handarbeiten, sondern auch hoch spezialisierte Fähigkeiten von westlichen Unternehmen jenseits der Grenze eingekauft werden. Verlierer dabei ist allein eine Gruppe: schlecht ausgebildete deutsche Hilfsarbeiter, die dann auch noch in einer Branche ohne große Zukunftsaussichten wie zum Beispiel derTextilindustrie tätig sind.
Ganz anders als in Bayern ist die Lage in den neuen Ländern. Doch dafür tragen diese oft selbst die Verantwortung. „Die ostdeutsche Politik denkt westeuropäisch“, sagt etwa der Zittauer Bürgermeister Jürgen Löffler. Und obwohl man im vorpommerschen Uecker-Randow-Kreis zum Einzugsgebiet Stettins gehört und Polen das größte Beitrittsland ist, wächst die Einsicht, dass Polnisch wichtiger als Französisch sein könnte, nur langsam. Entscheidungen, die die Region betreffen, werden außerdem zu oft in Warschau und Berlin gefällt. Politiker mit langjähriger Erfahrung in grenzübergreifender Zusammenarbeit, wie diejenigen der Euregio Maas–Rhein, wissen dagegen inzwischen, wie man nationale Gesetze umgeht. Wie heißt es so schön im gemeinsamen Werbeprospekt: Die Euregiogemeinden legen ein „gewisses Maß an Anarchie an den Tag“ und spielen so eine „Vorreiterrolle für die Änderung von Rechtsvorschriften“.
Anarchisches Vorgehen hilft freilich wenig, wenn man es mit den Geldverteilern aus Brüssel zu tun hat. Alle Euregios kritisieren die fehlenden Möglichkeiten, grenzüberschreitende Projekte zwischen EU-Mitgliedern und Beitrittskandidaten aus einem EU-Topf zu fördern. Für den Osten gibt es das Phare-Programm, für den Westen Intrerreg. Unterschiedliche Formulare und Aktenordner voll Papierkrieg sind die Folge.
Die taz-Serie sollte eigentlich an dem Tag im April beginnen, an dem die EU-Kommission ihr neues Programm für die Grenzregionen bekannt geben wollte. Inzwischen ist es Juli geworden, und der „Abstimmungsprozess“ zwischen den für Regionalförderung (Barnier), Erweiterung (Verheugen) und Haushalt (Schreyer) zuständigen EU-Kommissaren dauert an (s. Interview). Am 25. Juli soll das Programm endlich vorgestellt werden. Durchgesickert ist aber schon, dass sich Brandenburg, Sachsen und die anderen Grenzregionen keine Hoffnung auf neuen Geldsegen aus Brüssel zu machen brauchen. Es werden lediglich schon verplante Mittel umgeschichtet und einige bürokratische Hürden abgebaut. In mehreren Pilotprojekten soll gezielt das Zusammenleben beidseits der Grenze gefördert werden.
In Rumänien wie in Triest, in Niederbayern wie in Vorpommern sind schlechte Straßen und fehlende Bahnverbindungen auch im Jahre 12 nach der Öffnung der Grenzen die drängendsten Probleme. Deshalb will die Kommission den Ausbau der transeuropäischen Netze beschleunigen. Gefördert werden müssen aber auch kleine und mittlere Unternehmen auf beiden Seiten. Im Unterschied zu den großen fehlen ihnen Sprachkenntnisse und das Wissen um die Rechtsvorschriften des jeweils anderen Landes. Auch hier plant die EU-Kommission ein kleines Pilotprogramm. Industrie- und Handelskammern sind hier bereits aktiv. Die IHKs der Grenzregionen, und das sind immerhin 28, wollen keine siebenjährige Übergangsfrist, sondern fordern flexible, nach Branchen abgestufte Zuwanderung.
An kaum einer Grenze gibt es ein so dichtes Netz von Euroregionen wie an der deutsch-polnischen und der deutsch-tschechischen. Seit Beginn der Neunzigerjahre hatte man hier Zeit, sich kennen zu lernen, und so sollte es nun möglich sein, mehr in Angriff zu nehmen als grenzübergreifende Wanderwege oder gemeinsame Übungen der Feuerwehr. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Arbeitsamt für Deutsche und Polen in Guben/Gubin. Was sagte Riccardo Illy, Kaffeeproduzent und Bürgermeister von Triest im Mai unserem Korrespondenten: „Mit der EU-Osterweiterung lassen wir Grenzen sanft verschwinden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen