: Pferdeposter im staatlichen Elend
Flexible Ich-Konstruktionen gegen die Hierarchien der Wirtschaft: Die Ausstellung „Neue Welt“ im Frankfurter Kunstverein setzt sich mit der Ökonomisierung des Lebens auseinander, ohne sich auf eine Kritik der Globalisierung allein festlegen zu lassen
von AXEL JOHN WIEDER
Die mit dem Begriff Globalisierung aufgerufenen Ideen entfernen sich zusehends von einer idealisierten Weltgemeinschaft. Nach den Leitlinien von „good“ oder „global governance“ und den Theoremen der nachhaltigen Stadtentwicklung war „die Zukunft der Städte“ noch in den Thesenpapieren zur Konferenz Urban 21 vergangenes Jahr in Berlin als harmonisierendes Zusammenlaufen breiter gesellschaftlicher Kräfte angedacht.
Stattdessen haben sich Fotos und Fernsehbilder von den Protesten gegen das Treffen der Welthandelskonferenz (WTO) in Seattle im November 1999 mittlerweile in die politischen Debatten eingeschrieben: Eine Demonstration wartet auf die Tränengasgranaten, und als sie kommen, hört die Musik nicht auf zu spielen. Solche Bilder, wie sie der Künstler-Dokumentarist Allan Sekula abgelichtet hat, repräsentieren eine Krise der immer verzweigteren Kapitalisierung in alle Bereiche der Welt und der Körper. Wenn sich die Menschen gegen die Umformungen zu wehren beginnen, kann offensichtlich nicht mehr von der Auflösung von Konflikten in optimale Lösungen ausgegangen werden. Vielmehr haben sich mit den Fotos dieser Proteste Theorien in die Öffentlichkeit geschleust, die von den kritischen Verfahren sprechen: Die Juni-Ausgabe des Wirtschaftsmagazins brand eins zitiert direkt neben dem Inhaltsverzeichnis den Shell-Mitarbeiter Mark Moody zu Imagenachteilen seines Arbeitgebers – und zeigt dazu einen farbbeutelähnlichen Fleck.
Die Abbildung von Widerstand lieferte auch Ausstellungen in den letzten Jahren ein zentrales Thema. Zwischen fundamentaler Kritik und rhetorischem Anliegen dominierte insgesamt der Wille, die gesellschaftlichen Prozesse als Großphänomen im Ganzen beschreibbar zu machen – eine mächtige Allianz zu zeigen, zwischen Wirtschaftsstaaten, „multinationalen Konzernen“ und den alltäglichen Megamechanismen der Logo-Industrie: „brandscapes“, wie die halbwegs flotte Architekturkritik weiß.
Die im Frankfurter Kunstverein gezeigte Schau verspricht dagegen Konzentration im Detail. Schon der Titel „Neue Welt“ vermeidet den überfrachteten Schlüsselbegriff der Globalisierung. Stattdessen deutet sich ein Bruch innerhalb der neuen Welt an, entlang dessen sich die Arbeiten der beteiligten KünstlerInnen orientieren. Dieser Bruch setzt früh an: Wie eine frühere Generation der Seattle-Abbildungen wirken die Fotos von Erika Sulzer-Kleinemeier, die zwischen 1968 und 1986 hauptsächlich für Zeitschriften entstanden sind – Streiks, Demos, Polizeiübergriffe, Ostermarsch und US-Imperialismus. Dem Gestus des Dokumentarischen steht eine Funktionalisierung gegenüber. Mal ist die Kamera eine unter vielen, die rechts oder links am Bildrand zu erkennen sind; ein anderes Mal entgeht die Fotografin offensichtlich nur knapp einem Handgemenge, wie die verwischten Konturen einer Polizistenfaust verdeutlichen. Ähnlich wie Sekula macht sich die Fotografin selbst zum Teil des Geschehens, das somit weniger als dokumentierter Fakt denn als ein gewaltvolles und medial vermitteltes Handlungsfeld ins Bild gesetzt wird.
Es ist eine der Hauptthesen der Ausstellung, dass die „Neue Welt“ vor allem visuell argumentiere – im Vorwort des Kataloges ist von „bunten Markenzeichen“ die Rede. Vielleicht läge die Vermutung nahe, dass sich deshalb auch eine Kritik vor allem mit diesem Bilderpark befassen müsse. Die von Nicolaus Schaffhausen und Vanessa Joan Müller kuratierte Ausstellung umgeht diese Argumentationsklippe, indem sie ihre Anliegen auf die kulturelle Repräsentation insgesamt ausdehnt und damit auch die komplizierten Bedingungen der visuellen Artikulationen fasst. Kenny MacLeods Video „Robby Frazer“ zeigt 18-mal die selbe Person in unterschiedlichen 100-Wort-Statements als Selbstdarstellung zu Job, Familie und Liebe. Die aufgeführten Texte schließen einander zunehmend aus, kommen einem aber nicht unglaubwürdig vor. Sie scheinen vielmehr wie ausgesprochen flexible Ich-Konstruktionen, die an den Möglichkeiten eines adäquaten Selbst zwischen den verschiedenen Notwendigkeiten der gegenwärtigen Ökonomien proben.
Was mit dem Foucault’schen Begriff der Gouvernementalität beschrieben werden kann – das Ineinandergreifen von institutioneller Macht und deren Anerkennung bis hin zur Verinnerlichung durch die angesprochenen Subjekte –, erscheint in der Ausstellung als subjektive Wirkweise der Globalisierungsphänomene. Eine klischeeartige amerikanische Predigerin vor ghanaischen Amsterdamern zeigt eine deutliche Variante dieses Verhältnisses in einem Video von Jane Ostermann-Petersen und Willem de Rooij. Die Amerikanerin entwickelt aus der komplexen sozialen Situation heraus eine hierarchische Ordnung, bis es schließlich durch sie „in Zungen“ spricht und die Macht wortwörtlich durch die Körper geht.
Auch dieser Videofilm stellt die eigene Funktion als teilnehmendes Medium heraus, zeigt die Machtverhältnisse in Arbeit und lässt sich in seinem kritischen Interesse offensichtlich, wenn nicht peinlich nahe an die Grenze zu den rassistischen Zuschreibungen treiben, die den Film strukturieren. Dieses dokumentarisch-reflektierte Vorgehen findet sich sowohl methodisch als auch als Thema der Ausstellung immer wieder und erklärt den großen Anteil von Videoprojektionen und Fotografien. Da sind etwa Paul Grahams Fotoarbeiten, die britische Arbeitsämter zu den Hoch-Zeiten des Thatcherismus zeigen und den Bruch der neuen Welt erstaunlich weit nach vorne verlagern: Müde alte Männer hocken neben eher arbeitsunwilligen Trendtypen in den überlasteten Verwaltungszentralen des staatlich organisierten Elends, den Arbeits- und Gesundheitsämtern, die dieses schlimme Verhältnis nur notdürftig mit Pferdepostern vertuschen können.
Zwischen die Fotografien und Videoarbeiten schieben sich Rauminstallationen wie Elmgreen/Dragsets „Powerless Structures, Fig. 19“. Zwei Jeans und weiße Männerunterhosen – von Diesel bzw. Calvin Klein – liegen wie gerade abgestreift auf dem Boden. Skulptural, attraktiv und zugleich vieldeutig codiert verändert der Eingriff sehr einfach die Wahrnehmung des umgebenden Raumes – bis hin zu den angrenzenden Videokabinen, in denen eine weitere, diesmal abgeschlossene Präsentation von Videofilmen eingespielt wird. Gerade die metaphorische Erzählbarkeit vieler der durchweg nicht eigens für die Ausstellung entstandenen Arbeiten stellt eine thematische Verdichtung her, die sich als Statement lesen lässt.
Eine spiegelnde Edelstahlkugel von Gerhard Richter setzt ihre sehr offen angelegte Symbolik titelbildähnlich ein: Globus und Weltsicht. Oder eine Leuchtkastenarbeit von Runa Islam: Hunderte Kleinbilddias halten in zeitlich korrekter Abfolge den Zustand eines Londoner Innenstadtbaumes fest – mal mit mehr Abfall umlagert, mal wieder bereinigt. Unter dem Ausstellungsthema gelesen verwandelt sich die lokal eingegrenzte Studie um die Reste des Wohlstands in eine Überzeichnung der global-repressiven Broken-Windows-Theorie. Zwischen die kuratorischen Themen und die Arbeiten legt sich eine offensiv-subjektivistische Lesart, die selbst in Rodney Grahams Doppelprojektion eines Helikopterendlosflugs noch ein Überwachungsszenario anlegt.
Die Ausstellung widerspricht mit dieser deutlichen Intention anderen Statements wie etwa denen der neuen Düsseldorfer Kunstvereinsleitung. Diese hatte mit ihrer Eröffnungspräsentation „Zero Gravity“ in der Aneinanderreihung von Wolfgang Tillmans und Elke Krystufek bis Isa Genzken und Martin Kippenberger die Unverhältnismäßigkeit zwischen Generalthemen und Ausstellungsbeiträgen angesprochen. Anschlussfähigkeit und Dominanz des Themas entwickeln in der Ausstellung des Frankfurter Kunstvereins aber gerade eine theoretische Dynamik, da hier die Kulturalisierung des Politthemas von der ProduzentInnenseite aufgegriffen wurde. Die Ausstellung nimmt das Thema der neuen Welt und deren Ordnung als ein Feld an, in dem die sich gegenwärtig verändernden Kulturbegriffe auf ihre Effekte treffen können. Kulturbegriffe, in die sich die Widersprüchlichkeiten von Macht und Subjektivität längst tief eingegraben haben.
„Neue Welt“, bis 23. 9. Frankfurter Kunstverein. Katalog: 39 DM
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