: Typische Gewaltfalle
Felix Kolb, Sprecher von ATTAC Deutschland, zu den Ereignissen in Genua und der Zukunft des Protestes gegen die Globalisierung
taz: Die Proteste in Genua waren die größten in der Geschichte internationaler Gipfel. Waren sie ein Erfolg, trotz allem, was geschehen ist?
Felix Kolb: Die Todesschüsse überschatten alles. Trotzdem halte ich die Proteste für einen Erfolg, denn sie zeigen, dass die Bewegung eine unheimliche Breite erreicht hat. Es haben über 200.000 Menschen demonstriert – viermal so viele wie damals in Seattle.
Wieder aber ist von Inhalten wenig berichtet worden, und die Gewalt dominiert die Szene.
Die Leute, die mit ATTAC nach Genua gefahren sind, haben vor allem Gewalt von der Polizei erlebt. Das Problem war, dass sich auch Gruppen beteiligt haben, die an der Vorbereitung nicht beteiligt waren. Diese Gruppen sind zum Problem geworden. Die Zerstörungen in der Innenstadt haben mit dem Aktionskonzept des Genoa Social Forums überhaupt nichts zu tun.
Aber wie soll denn in Zukunft verhindert werden, dass solche Gruppen im Schutz der Masse aktiv werden?
Wir können nur eine offensive Debatte über diese Frage führen. Aber es gibt Leute, die wir mit unseren Argumenten nicht erreichen werden. Das ist wie beim Fußball: Jedes Spiel bietet auch Hooligans eine Kulisse für Randale. Das kann aber kein Grund sein, den Protest nicht fortzusetzen – genauso wenig, wie deshalb Fußballspiele verboten werden.
Was halten Sie denn von den Vorschlägen Innenminister Schilys, gegen so genannte Politkrawalltouristen vorzugehen wie gehen Hooligans?
Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist etwas anderes als die Teilnahme an einem Fußballspiel. Wir werden uns auf jeden Fall mit der Praxis der Ausreiseverbote auseinandersetzen. Zum Teil durften Leute nicht ausreisen, die irgendwann zu einem Bußgeld verurteilt wurden wegen einer gewaltfreien Sitzblockade. Ich selbst hätte aus diesem Grund gar nicht reisen dürfen. Aber was bedeutet eine europäische Demokratie ohne das Recht, zu Demonstrationen in andere Länder zu fahren?
Die Gewerkschaft Ver.di ist ja Mitglied von ATTAC. Wird es nicht in Zukunft viel schwieriger werden, solche Bündnispartner zu bekommen?
In der Öffentlichkeit ist bekannt, dass ATTAC zu den Gruppen gehört, die sich um inhaltliche Anliegen bemühen. Die Gewerkschaften haben da sicher genug Differenzierungsvermögen.
Gehören Gruppen wie die, der der erschossene Carlo Giuliani angehörte, auch zur Bewegung?
Das ist eine Definitionsfrage – es gibt ja keine formelle Mitgliedschaft. Die Gruppen, die für die Zerstörungen in der Innenstadt verantwortlich sind, waren jedenfalls nicht an der Vorbereitung beteiligt. Wenn die sich als Teil der Bewegung verstehen, kann man aber nicht viel dagegen sagen.
Haben Sie keine Angst davor, dass die Mobilisierung zu solchen Aktionen in Zukunft schwieriger wird, weil mögliche Teilnehmer mit der Gewalt von Polizei und militanter Szene nichts zu tun haben wollen?
Genau deshalb wollen wir in Zukunft eigene Aktionen unternehmen. Wir werden zum Beispiel am 6. Oktober in Luxemburg eine Aktion machen, einfach um zu sagen: Die Steueroase Luxemburg ist in Europa nicht akzeptabel. Das ist dann unsere Aktion. Da kommen auch keine anderen Gruppen.
Das soll die Lösung sein?
Ich bin im Moment ratlos. Zurzeit tut sich die typische Gewaltfalle auf, wie man sie bei allen sozialen Bewegungen sehen konnte, etwa bei den Castor-Transporten. Aber das Beispiel Castor zeigt auch, wie es gelingen kann, so eine Dynamik der Gewalt zu stoppen.
INTERVIEW: BERND PICKERT
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