: Wegen Zivilcourage
■ Zwei 20-Jährige verurteilt, die in der Bahn brutal zwei Männer verprügelten
Kein Schulabschluss, kein Berufsvorbereitungsjahr, „das war mir zu albern“, dem anderen auch. In jener Nacht aber waren sie die Größten. Erst der Farbige in der Bahn, der war für sie ein „Bimbo“, ein „Scheißneger“. Und „von so einem Scheißchinesen“, wird der Angeklagte Andre R. später zur Polizei über einen der Fahrgäste sagen, die er zusammenschlug, „lass ich mich sowieso nicht anmachen“. Das Amtsgericht verurteilte den 20-jährigen Andre R. zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Haft, den gleichalt-rigen Björn Sch. zu einem und zwei Monaten auf Bewährung. „Es ging los wie ein Gewitter“, sagte der Richter, „es traf zwei völlig Unbeteiligte, die nur das gezeigt haben, was in der Öffentlichkeit verlangt wird: Zivilcourage.“
Andre R. und Björn Sch. hatten am frühen Morgen des 15. April zwei Männer zusammengeschlagen . Der eine kam glimpflich davon, der andere lag mit lebensgefährlichen Verletzungen eine Woche im Krankenhaus auf der Intensivstation, das Gesicht zertreten, Rippen gebrochen, Lunge verletzt. Die beiden hatten sie gestört, als sie in der S-Bahn-Linie 1 saßen, um 6.30 Uhr zwischen Wandsbeker Chaussee und Hasselbrook, und sich die Fahrtzeit zur Reeperbahn damit vertrieben, einen Schwarzen zu bepöbeln. Günther Sch. mischte sich ein und bezahlte fast mit seinem Leben dafür. Die beiden warfen den 59-Jährigen zu Boden, traten und schlugen auf ihn ein. Eine Bierflasche bekam er erst auf den Kopf, dann ins Gesicht, „zwei mal ging das Licht bei mir aus“, erzählt der Zeuge vor Gericht. Sein Kollege hat „nur Faustschläge und Tritte abbekommen“, wie er selber es beschreibt.
Heute wollen die beiden Angeklagten nicht mehr wissen, wie es zu dem brutalen Übergriff kam. Er hätte selber viele afrikanische Freunde, „fast mehr als deutsche“, nuschelt der eine, und dass er „überhaupt nicht rechts oder ein Nazi“ sei. Aber die Nacht hatte er durchgemacht, Wodka, Bier, Ecs-tasy, „und dann bin ich in der Bahn halt durchgetickt“. Der andere will sich nur noch erinnern, dass „irgendwie die Schlägerei anfing“.
Aus der Untersuchungshaft he-raus hatte Andre R. einen Brief an Günther Sch. geschrieben: „Es tut mir leid.“ Der hat sich darüber gefreut. Er hat seinen Anwalt beauftragt, kein Schmerzensgeld einzuklagen, sondern die Täter aufzufordern, zur Wiedergutmachung Geld an die Kinderkrebshilfe zu zahlen. „Ich habe keinen Hass auf die jungen Männer“, erklärt er. „Nur ein wenig Mitleid“. Er möchte, dass die beiden Angeklagten eine Lehre aus diesem Erlebnis ziehen.
Er selber hat das auch getan. „Ich werde mich auch in Zukunft weiterhin für Benachteiligte einsetzen“, sagt er. „Aber nicht mehr in dem Maße.“ Elke Spanner
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