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Krücken für den Geist

Anlässlich der Preisverleihung an Erika Fuchs: Dissidente Donaldisten setzen sich gegen „überintellektualisierte Usurpatoren“ zur Wehr

Pseudotheorien verdüstern den Genuss der Abenteuer aus Entenhausen

In Bad Gandersheim wird heute der „Roswitha-Preis“ an die Schriftstellerin und Übersetzerin Erika Fuchs überreicht. Damit wird eine Autorin erstmals literarisch geehrt, die wie kaum eine andere die deutsche Sprache der Gegenwart beeinflusst und verändert hat. Die 94-Jährige hat sich als geniale Sprechblasentexterin der deutschen Ausgabe von „Micky Maus“ Ruhm und Anerkennung erworben. „Dem Ingeniör ist nichts zu schwör“ (Daniel Düsentrieb); „Appetit gut, aber immer müde, müde“ (Franz Gans) – unsterbliche Sätze, die ebenso in die Umgangssprache Eingang gefunden haben wie der von ihr eingeführte onomatopoetisch verkürzte Infinitiv: „Seufz, ächz, stöhn, röchel, keuch, würg“ usw. usf. Innerhalb der Donald-Duck-Verehrergemeinde aber ist anlässlich der Ehrung für Erika Fuchs ein erbitterter Streit ausgebrochen. Eine Gruppe freischwebender Duck-Fans, die sich von der ihrer Meinung nach „überintellektualisierten“ und „durch eine Clique von Usurpatoren instrumentalisierten“, so genannten „Deutschen Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus“ (D.O.N.A.L.D.) nicht vertreten fühlen, haben sich zu einer „Initiative freies Entenhausen“ zusammengeschlossen. Von ihr erreichte uns folgende Erklärung, die wir leicht gekürzt im Wortlaut wiedergeben.

Wir gratulieren Erika Fuchs, der großen Sprachschöpferin, zum Empfang ihres ersten, längst überfälligen Literaturpreises. Wir hoffen, dass dieser Durchbruch dazu führt, dass Erika Fuchs nun endlich auch von der Fachgermanistik den ihr gebührenden Platz in den Lehrplänen und Literaturgeschichten zugewiesen bekommt. Leider sind jedoch die Umstände, unter denen Frau Fuchs geehrt wird, höchst beklagenswert.

Ausgerechnet der FAZ-Feuilletonchef Patrick Bahners wurde auserkoren, in Bad Gandersheim die Laudatio zu halten. Bahners versucht seit Jahren, die Sache des so genannten „Donaldismus“ mit seinem Namen zu identifizieren. Er und seine Helfershelfer in der Organisation „D.O.N.A.L.D“ haben um die Figur Donald Ducks und seines begabtesten Zeichners Carl Barks herum eine Art pseudointellektuellen Kultus etabliert, als dessen Hohepriester sie selbst auftreten. Der „Donaldismus“, der einst als fröhliches intellektuelles Spiel begann, ist längst zum Vehikel des Ehrgeizes einer kleinen Clique überheblicher Kulturjournalisten geworden. Deren verstiegene Pseudotheorien über das Entenhausener „Paralleluniversum“ drohen mittlerweile den authentischen, unbefangenen Genuss der Abenteuer aus Entenhausen zu verdüstern und den Blick dafür zu trüben, was sie in Wahrheit sind: lustige, unterhaltsame Bildergeschichten, die keinerlei „tiefere“ kulturtheoretische oder ideologische Botschaften enthalten.

[...] Systematisch versucht Bahners, den „Donaldismus“ als Markenzeichen für das von ihm geleitete Frankfurter Feuilleton zu reklamieren. So beutet er die Sprechblasentexte von Erika Fuchs zur Herstellung scheinbar origineller Artikelüberschriften aus. Eine gewisse Schickeria im Kulturbetrieb, die sich bei der vermeintlich allmächtigen FAZ einschmeicheln will, findet diesen dreisten Ideenraub putzig und verherrlicht Bahners als den „größten Donald-Duck-Spezialisten“ der Republik.

Diesen gestohlenen Ruf vermarktet Bahners derzeit mit Hilfe eines Buches, das großspurig die „Wahrheit über Entenhausen“ zu verkünden verspricht. Es ist daher ein Hohn, dass Bahners eine Organisation repräsentiert, die sich als „nicht kommerziell“ und „lauter“ bezeichnet. [...] Offenbar benötigt Bahners den „Donaldismus“ als geistige Krücke, um sein höchst prekäres Ich-Bewusstsein zu stabilisieren. Bei seinen befremdlichen Verlautbarungen drängt sich zuweilen der Verdacht auf, dass er sich tatsächlich für einen Einwohner Entenhausens hält oder zumindest glaubt, schon einmal dort gewesen zu sein.

[...] Wir aber, die hier versammelten Liebhaber Donald Ducks und der ganzen Entenhausener Fauna, erklären, dass die verschrobenen Gedankengänge von Bahners und seiner Adepten nichts mit dem originären Lebensgefühl zu tun haben, das die Micky-Maus- und Donald-Duck-Geschichten sowie die Texte von Erika Fuchs vermitteln. Wir rufen alle freien Geister auf, sich unserem Kampf gegen die Usurpatoren unserer Lieblingslektüre anzuschließen. Wir wollen nicht, wie „D.O.N.A.L.D“, eine Sekte von hermetischen Esoterikern sein, sondern ein lockerer Zusammenschluss all derer, die wieder zur unverstellten Freude an den schönen bunten Geschichten zurückkehren wollen. Wir werden die Machenschaften von Bahners und seiner Komplizen im Auge behalten und in loser Folge Artikel, Dokumentationen und Erklärungen veröffentlichen, die den selbst ernannten Priestern des „Donaldismus“ die Maske vom Gesicht reißen und ihre scheinwissenschaftlichen Theorien der wohl verdienten Lächerlichkeit preisgeben werden.

Erpelsbrück, den 25. Juli 2001

Initiative freies Entenhausen

gez. Schwindolar Schwan,

provisorischer Koordinator

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