: Abschwung unterhöhlt Sparpolitik
Wegen der schlechten Konjunkturlage werden einige Euroländer in diesem Jahr höhere Staatsdefizite verzeichnen, als der Pakt zur Stabilisierung der Gemeinschaftswährung zulässt. EU-Währungskommissar beendet Versuch, Sparkurs aufzuweichen
von NICK REIMER
Wie lockert man den Stabilitätspakt in der Euro-Zone, ohne ihn offiziell zu lockern? Zunächst muss man heftig dementieren. Ein Berater des belgischen Finanzministers erklärte gestern im Handelsblatt, dass die EU-Finanzminister eine Lockerung des Stabilitätspaktes verabredet haben. „Es kann keine Rede von einem generellen Abrücken vom Stabilitätspakt sein“, dementierte dann prompt ein Sprecher von Bundesfinanzminister Hans Eichel. Über dieses „generell“ wird noch zu reden sein.
Der 1997 beschlossene Stabilitätspakt ist eine deutsche Erfindung: Theo Waigel finanzministerte damals und fürchtete laxe Italiener und Franzosen. Deren Finanzpolitik, so der Christsoziale, gefährde die Geldwertstabilität des Euros. Gegen erbitterten französischen Widerstand setzte Waigel den Pakt durch, der den Mitgliedsländern mittelfristig „einen nahezu ausgeglichenen Haushalt“ vorschreibt. Waigel ging mit gutem Beispiel voran und sprach 1997 eine freiwillige Selbstverpflichtung aus: Deutschland werde im Jahr 2001 das Defizit auf 1,5 Prozent begrenzen, ab 2004 einen ausgeglichenen Haushalt erreichen.
Jetzt sind es ausgerechnet die Deutschen, die ihre Erfindung torpedieren. „Die rapide Verlangsamung des Wirtschaftswachstums“ berge „Risiken“ für die staatliche Finanzplanung in Deutschland, schrieben die EU-Ökonomen. Bundesfinanzminister Hans Eichel signalisierte jetzt, dass das diesjährige Defizit bei 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen könnte.
Doch nicht nur die Deutschen haben Schwierigkeiten mit dem Pakt. Italien erklärte, das Defizitziel nach oben revidieren zu müssen. Stehen im Pakt 0,8 Prozent Defizit geschrieben, geht Rom inzwischen von bis 2,6 Prozent aus. Auch Frankreich wird den Pakt brechen. Entsprechend nachvollziehbar die Bemühungen der betroffenen Finanzminister: Eichel und sein französischer Kollege Laurent Fabius hätten sich über eine Änderung des Defizitkriteriums verständigt, hieß es in der Presse.
Auch das dementierte gestern der Sprecher des Finanzministeriums. Und schob das „generell“ nach, das wie eine Einschränkung klingt: „Es wird möglicherweise aber eine Festschreibung von Ausgabenzielen entsprechend den Defizitkriterien geben.“ Die Juli-Runde der Finanzminister habe einen Arbeitsauftrag erteilt, Ideen zu entwickeln.
Ein Telefonat zwischen EU-Währungskommissar Pedro Solbes und Hans Eichel sollte die Debatte dann aber komplett beenden. Eichel sicherte Pakttreue zu. Auch der deutsch-französische Vorstoß scheint zunächst vom Tisch. Eine Kommissionssprecherin: „Es zeichnet sich nicht ab, dass das Defizitkriterium durch ein Ausgabenkriterium ersetzt wird.“
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