Glamour statt Gleise unter dem Reichstag

Im Juni stoppte der Sommersenat die Verlängerung der U 5. Jetzt finden in den toten Schächten Edelpartys statt

Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben eine unterirdische Finanzquelle entdeckt, aus der hübsche Summen für die leere Berliner Landeskasse hervorsprudeln: Den bisher ungenutzten U-Bahnhof „Reichstag“ im Regierungsviertel. Seit Ende des vergangenen Jahres finden dort regelmäßig Veranstaltungen statt, die sich Freunde abgedrehter Örtlichkeiten einiges kosten lassen. „7.000 bis 8.000 Mark beträgt die Tagesmiete“, bestätigte gestern Erika Lherminier, die Immobilienmanagerin der BVG.

Weil Landgasthöfe und Turnhallen langweilig sind, stehen die Interessenten Schlange. „Bekannte Persönlichkeiten haben schon ihre Geburtstagspartys angemeldet“, sagt Lherminier, „außerdem stehen Sportturniere und Fotoausstellungen bevor.“ Im Frühjahr habe sich Constantin Film in der Röhre breit gemacht. Dreharbeiten für „Resident Evil“ mit Milla Jovovich.

Die erste Feierlichkeit im Untergrund war die Verleihung des Axel-Springer-Literaturpreises im November letzten Jahres. Der Veranstalter „Hardenberg Concept“ ging noch öfter für Luxus-Events „unter Tage“. Zum Beispiel, um dem Vorstandschef eines Automobilclubs eine exklusive Abschiedsfeier zu bereiten.

Der Bahnhof „Reichstag“ ist Teil der geplanten U 5-Verlängerung vom Alexanderplatz zum Lehrter Stadtbahnhof. 1999 hatte die große Koalition das 1,3-Milliarden-Projekt beschlossen. Der Sommersenat stoppte die Baumaßnahmen jedoch im Juni dieses Jahres. Ob die Arbeiten an der „Kanzler-U-Bahn“ fortgesetzt werden, weiß momentan niemand. Die Station steht derweil leer.

Grund genug für die BVG, dort Veranstaltungen zuzulassen, die etwas Geld einbringen. Lherminier: „Wir müssen lediglich die Termine mit dem Senat abstimmen, damit die Partyleute nicht mit Bauarbeitern kollidieren.“ Im Grunde sei bis hin zur Diskothek alles möglich. Kluge Vorschläge für eine mögliche Nutzung des toten Tunnels hatte die taz bereits im Mai 2000 gemacht. Verschiedene Experten schlugen damals vor, dort seltene Fledermäuse anzusiedeln, Pilze zu züchten oder ein Gruselkabinett einzurichten.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung denkt nun über eine Ausschreibung nach. Laut Sprecherin Petra Rohland ist auch eine längerfristige Nutzung des Bahnhofs für Kulturevents oder als Ausstellungsort denkbar. Zunächst steigt aber vom 21. bis 23. September die Subground-Battle des Sportartikelherstellers Nike. 2.000 Kinder werden unter dem Reichstag die Stadtmeister in den Disziplinen Skateboard, Fußball und Basketball ermitteln. CHRISTIAN TERIETE