DIE EMPÖRUNG ÜBER DAS „ZIGEUNERJUDEN“-URTEIL IST VERFEHLT
: Zeitgemäße Entscheidung

Ein Urteil sorgt für Streit in Deutschland. Das Landgericht Kempten hat einen ehemaligen Rep-Funktionär vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen, der Michel Friedman, den Vizevorsitzenden des Zentralrats der Juden, als „Zigeunerjuden“ bezeichnet hatte.

Eine beleidigende Absicht war dem Kontext dabei sicher zu entnehmen. Der Funktionär titulierte zeitgleich die Grünen als „Schwuchtelpartei“ und die CSU als „Altfaschisten“. Doch ist der Begriff „Zigeunerjude“ ein Schimpfwort? Das Landgericht hat dies verneint. Die Begriffe „Jude“ und „Zigeuner“ seien wertneutral, also könne auch das Wort „Zigeunerjude“ keinen Angriff auf die Menschenwürde darstellen. Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, hat das Urteil daraufhin als „Offenbarungseid der Justiz“ bezeichnet.

Das kann man auch anders sehen. Zwar haben die Begriffe „Zigeuner“ und „Jude“ heute immer noch Anklänge an die NS-Rassenideologie, und insofern werden diese Anklänge sicher auch hervorgehoben, wenn ausgerechnet zwei derartige Begriffe verbunden werden. Aber warum muss ein Gericht im demokratischen Staat gerade diese Anklänge seiner Entscheidung zugrunde legen? Ist es nicht gut, wenn Richter betonen, dass im heutigen Deutschland die NS-Rassenideologie nicht mehr maßgeblich ist? Der Begriff „Zigeunerjude“ ist zwar unsinnig, aber objektiv keine Schmähung mehr. Diese Zeiten sind vorbei, will uns das Urteil sagen.

Nun hat Justizministerin Herta Däubler-Gmelin in einem Brief an Friedman das Urteil „ausdrücklich“ kritisiert. Darin muss man – anders als der Deutsche Richterbund – keinen Angriff auf die Justiz sehen; in der Demokratie müssen auch Richter mit Kritik leben. Und wenn die Kritik von der Justizministerin kommt, ist das zwar ungewöhnlich, aber da sie der unabhängigen Justiz keine Vorgaben machen kann, ist auch das hinzunehmen.

In der Sache aber hat auch sie Unrecht. Mit ihrem Brief wollte sie auf die Gefahr hinweisen, dass bald Rechtsradikale mit dem richterlich abgesegneten Begriff „Zigeunerjude“ hausieren gehen. Nur: Wäre aus ihrer Sicht viel gewonnen, wenn nun die nächste Instanz doch auf Beleidigung erkennt? Wohl kaum, denn auch dies könnten Rechtsradikale als Einladung verstehen und weitere heikle Begriffe auf ihr Schandpotenzial hin austesten. Wie sollen etwa die Gerichte reagieren, wenn Friedman bei seiner nächsten Rede mit „Jude, Jude“-Rufen empfangen wird. Soll dann der Begriff „Jude“ wieder ein Schimpfwort sein? Das würde wohl selbst Däubler-Gmelin zu weit gehen. CHRISTIAN RATH