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„Da stehen doch nicht 19 gegen den Rest“

Münteferings Drohgebärde gegen die Abweichler bei der Mazedonien-Abstimmung sorgt für mehr Unmut als Scharpings Eskapaden

BERLIN taz ■ Hermann Scheer wird umringt, als sei er der Kanzler höchstpersönlich. Die Kameramänner schubsen, die schreibenden Kollegen fluchen. Dabei ist der Solarexperte nur Mitglied des SPD-Fraktionsvorstands. Aber er ist einer der wenigen, die vor dem Sitzungssaal der SPD-Bundestagsfraktion den Bogen spannen vom Fall Scharping zu jenen 19 SPD-Abgeordneten, die vergangene Woche im Bundestag gegen den Einsatz der Bundeswehr in Mazedonien stimmten.

SPD-Generalsekretär Franz Müntefering, der öffentlich den Neinsagern mit Konsequenzen bei der Listenaufstellung zur Bundestagswahl gedroht hat, „sollte es gelassener betrachten“, sagt Scheer. Das Nein einiger Parlamentarier habe der SPD nicht zwingend geschadet, viel mehr rege er sich über die Vorgänge um Scharping auf.

Damit steht Scheer jedoch ein wenig alleine. Denn Scharpings Bundeswehrflug von Skopje nach Mallorca wird hinter verschlossenen Türen fast schon ein Nebenthema. Was viele Parlamentarier viel mehr aufregt, ist der Tonfall, den Müntefering und Fraktionschef Peter Struck in Interviews gegen die 19 Abweichler angeschlagen haben. Selbst Befürworter des Bundeswehreinsatzes wie der Berliner Abgeordnete Eckhardt Barthel stellen sich schützend vor sie: „Diese Drohgebärde kann ich nicht aktzeptieren.“ Man hätte die Kritik am Abstimmungsverhalten „dezenter“ äußern können, erst durch die medial verursachte Aufregung sei es „zum eigentlichen Thema geworden“.

Peter Danckert, der zunächst auf der Liste der 30 Kritiker gestanden hatte, dann aber im Bundestag doch zustimmte, sagt: „Den Ton finde ich nicht in Ordnung.“ Über 40 Abgeordnete standen nur zum Thema Umgang mit den Kritikern auf der Rednerliste – Ausdruck des offenkundigen Bedürfnisses in der Fraktion, das Wort zu ergreifen.

Struck hatte zu Beginn der Sitzung Müntefering in Schutz genommen. Auch der Kanzler nahm Stellung: Ob das Verhalten der vergangenen Woche zur Mode werden soll, habe Gerhard Schröder gefragt, erzählen Teilnehmer. Gernot Erler, außenpolitischer Experte der Fraktion, verteidigt das Vorgehen der Partei- und Fraktionsspitze vor dem Sitzungssaal: Der Hinweis auf die Listenplätze sei notwendig gewesen, „um zu zeigen, worum es hier geht“. Die Mehrheit in der Fraktion wisse um die schwierige Rolle des Generalsekretärs, glaubt Erler.

Andere wie etwa Ottmar Schreiner, einst Bundesgeschäftsführer unter SPD-Chef Oskar Lafontaine, werfen Müntefering vor, die Stimmungslage in der Partei unterschätzt zu haben. Mit den Äußerungen werde nur „Verwirrung in die Kreisverbände hineingetragen“, meint Schreiner, der mit Ja gestimmt hat. Niemand könne von vorneherein sein Abstimmungsverhalten verbindlich festlegen: „Es gibt eben einen Spannungsbogen zwischen Regierungsfähigkeit und Gewissensentscheidung – und der läßt sich nicht immer auflösen.“

Die Gegner selbst sind bemüht, den Konflikt nicht weiter auf die Spitze zu treiben. Es gebe keine „emotional aufgebaute Stimmung, kein Schwarz-Weiß“, meint Klaus Barthel, Abgeordneter aus Bayern: „Es ist nicht so, dass da 19 gegen den Rest stehen.“ Der 45-Jährige hat nach der öffentlichen Schelte viel Zustimmung für sein Verhalten erfahren. Die SPD sei eine demokratische Partei, weder Linke noch Rechte wollten, dass „wir so miteinander umgehen“. Es sei unstrittig, dass die Fraktion geschlossen handeln müsse. Nur sei die Frage, wie „gelangen wir dahin“. „Dazu brauchen wir einen gemeinsamen Verständigungsprozess“. Es müsse eben auch Raum und Zeit dafür geben, sich über ein Thema wie dem Mazedonien-Einsatz kontrovers auszutauschen und „nicht nur Vorträge anzuhören“. SEVERIN WEILAND

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