: Das gehört mir gar nicht
Wenn Frauen ein Vermögen erben, bereitet ihnen die Umstellung auf die neue Situation meist mehr Kopfzerbrechen als Männern: Das nicht selbst erwirtschaftete Geld empfindet so manche Erbin als im doppelten Sinne unverdient. Ein Grund, weshalb viele Erbinnen einen Teil ihres neuen Besitzes sozialen Zwecken widmen
von ANNETTE KANIS
Katja Tischer* besaß plötzlich Geld, mehr als das: ein richtiges Vermögen. Sie und ihre drei Geschwister hatten das Vermögen der Eltern geerbt, das vor allem in der Landwirtschaft steckte und daher vorher nicht so deutlich sichtbar war. „Bei uns wurde nicht geredet über Geld und Besitz, mir war also nicht bewusst, dass so ein großes Erbe auf uns Kinder zukommen würde“, erinnert sich die 46-Jährige.
Erben ist schwierig. Vor allem, wenn man Theologin ist, christliche Werte vom Teilen ernst nehmen will, sich Gedanken macht über Ungerechtigkeit in der Welt. Jetzt war Katja Tischer plötzlich selbst eine von den Reichen und empfand das als Belastung. Sie wechselte sogar die Stelle. Weg vom Gemeindepfarramt, wo jede Predigt zur moralischen Herausforderung wurde. „Ich habe lange gebraucht, um zu begreifen, dass Erben an sich keine Schuld ist.“
Reaktionen wie „Deine Sorgen möchte ich haben!“ oder „Sei doch froh und genieß es!“ halfen ihr wenig weiter. Katja Tischer ging schnell dazu über, ihr Erbe nicht zum Gesprächsthema zu machen. „Da ist immer noch so eine Angst, dass ich aufgrund meines Geldes abgewiesen werden könnte“, sagt sie nach vier Jahren als vermögende Frau.
Erben ist eine Herausforderung. Das Bild vom prassenden Erbschleicher, vom finanzversierten Stammhalter, vom in der Firma aufrückenden Juniorchef, vom Sprössling, der es sich jetzt endlich so richtig gut gehen lässt, dieses Bild passt selten. Vor allem, wenn Frauen erben.
„Frauen erben anders“, davon ist Marita Haibach überzeugt. Die Fundraisingexpertin aus Wiesbaden hat gerade ein Buch mit gleichnamigem Titel geschrieben. Bereits während ihrer Doktorarbeit, für die sie in den USA über Frauen und Stiftungswesen recherchierte, kam sie in Kontakt mit Erbinnen und deren durchaus gespaltenem Verhältnis zum ererbten Vermögen. „Selbst verdientes Geld ist gutes Geld, ererbtes dagegen ist schlecht – mit dieser gesellschaftlichen Überzeugung haben vor allem Frauen Probleme“, so Marita Haibach. Bei vielen Frauen werfe das Erbe persönliche Fragen auf. Mit der Freundin lässt sich dann nicht immer reden, vor allem, wenn diese Sozialhilfeempfängerin ist. Mit dem Partner oder Ehemann kommt frau oft auch nicht weiter, denn Geld ist Macht. Und so mancher Mann kann nicht damit umgehen, wenn seine Frau plötzlich die Reichere ist. „Für Männer kann das regelrecht zur Bedrohung werden, wenn ihre Frau mehr besitzt als sie selbst“, so Marita Haibach. „Daran sind Beziehungen zerbrochen.“ Finanzielle Unabhängigkeit verleiht Flügel – erst recht, wenn in Beziehungen schon vorher der Wurm drin war.
Trennungsprobleme sind Katja Tischer erspart geblieben. Ihr Mann hielt sich raus aus den Erbangelegenheiten. „Zuerst hat mir seine Unterstützung gefehlt, aber eigentlich war es nur meine eigene Unsicherheit, dass ich mir Beistand in all den finanziellen Dingen gewünscht habe“, sagt sie rückblickend. Frauen im Erbinnenalter haben weniger Erfahrung im Finanzmanagement als Männer – eine weitere Grundthese aus Marita Haibachs Ratgeber.
Vererbt wird aber nicht nur Geld, auch Unternehmen gehen über in Erbinnenhand. „Die Verantwortung für all die Arbeitsplätze, das war schon gewöhnungsbedürftig“, sagt Karin Burmeister, jetzt Hauptgesellschafterin eines mittelständischen Unternehmens mit rund fünfzig Angestellten. Sie hatte nie selbst in der Firma ihres Vaters gearbeitet, war als EDV-Expertin eigene Wege an eigenen Orten gegangen. Jetzt verlässt sie sich auf ihren Geschäftsführer, hält sich mit regelmäßigen Informationsbesuchen auf dem Laufenden.
Als ihr Vater vor drei Jahren starb, hinterließ er ihr außer dem Unternehmen Vermögen, zwei Immobilien und einen kleinen Wald. Seitdem ist sie Mitglied in einer Organisation, der „Forstbetriebsgemeinschaft der privaten Waldbesitzer“. Und sie hat den kranken Waldbestand auf ihren viertausend Quadratmetern mit Buchen und Linden aufgeforstet. Wenn Karin Burmeister von ihren Bäumen erzählt, ist sie eins mit ihrem Erbe.
Den Versicherungsvertreter, der nach dem Tod ihres Vaters gleich nachfragte, ob sie denn jetzt nicht eine andere Autoversicherung für einen großen Wagen brauche, hat sie abblitzen lassen. Im überschaubaren Pulheim, einer Kleinstadt bei Köln, fährt es sich mit dem Fahrrad besser, auch wenn das mittlerweile zwanzig Jahre alt ist. Ein Pelzmantel würde nur in die Speichen geraten, und eine Designercouch genauso wenig zu den einfachen Holzregalen passen wie Juwelen zur Persönlichkeit der Erbin. Die 58-Jährige macht sich nichts aus den Insignien des Reichtums. Karin Burmeister ist eine Frau, die für die Grünen im Stadtrat sitzt, sich seit Jahren in einem Frauenprojekt engagiert, an der Volkshochschule Internetkurse für Seniorinnen gibt und ihre quakenden Frösche im Gartenteich gegen protestierende Nachbarn verteidigt.
„Ich tue mich schwer, mich als Erbin darzustellen“, sagt sie, „dabei verwalte ich einen nicht eben trivialen Besitz.“ Als vermögende Frau hat sie an ihrem Leben nicht viel geändert. Nur einen Computer hat sie sich gekauft, und den Garten halten jetzt zwei Gärtnerinnen in Ordnung. „Dieses Gefühl, eigentlich gehört das Geld gar nicht dir, das werde ich wohl nie loswerden.“
Für Karin Burmeister, die keine eigene Familie hat, stand schnell fest, dass sie eine Stiftung gründen wollte. Auch der Vater hatte bereits so eine Idee, dachte da aber eher an die finanzielle Unterstützung eines begabten Studenten. Die Tochter hat diese Idee nun in ihrem eigenen Sinne realisiert. Ein wichtiger Schritt, in der Öffentlichkeit zu ihrer Erbschaft zu stehen, war für sie die Namensgebung der Stiftung. „Karin-Burmeister-Stiftung – mit dem Namen wäre mein Vater bestimmt einverstanden gewesen“, sagt sie und lächelt. „Mit der Zielsetzung wohl weniger.“
Die Förderung von Gleichberechtigung und Frauenprojekten hat die Stiftungsgründerin in die Satzung geschrieben. Ein Vorhaben für die Zukunft, denn erst nach ihrem Tod wird die Stiftung Zinsen aus dem ganzen Vermögen abwerfen und zu vollem Leben erblühen. Und das über Jahrzehnte, weil – wie bei Stiftungen üblich – das Stiftungskapital bestehen bleibt und nur die Zinsen vergeben werden.
„Ich finde es faszinierend, in die Zukunft zu blicken, zu sehen, dass da etwas bleibt.“ In ihrem eigenen Frauenprojekt, dem „Café F.“, einem Treffpunkt und Veranstaltungsort in Pulheim, hat sie gemerkt, wie mühselig es ist, an Gelder zu kommen. „Vielleicht wird ja in dreihundert Jahren ein Managerinnenzirkel von meinem Geld finanziert.“
„Vermögende Frauen zeigen meist ein größeres philanthropisches Engagement als Männer, sie spenden und stiften eher“, meint Autorin Marita Haibach, die seit Jahren Frauen in diesen Fragen berät. Wenn die persönliche Auseinandersetzung mit dem Erbe stattfinde, dann wirke sich das auch konkret im Spendenverhalten aus. Und Frauen denken eher an gesellschaftliche Verantwortlichkeit, das hat Marita Haibach während ihrer Arbeit im Erbinnennetzwerk (siehe Randspalte) und für ihr Buch oft festgestellt.
Abgeben – das hat es auch Katja Tischer leichter gemacht, das Erbe anzunehmen. Die Deutsche lebt in den Niederlanden und engagiert sich finanziell bei der Frauenstiftung „Mama Cash“ sowie für progressive Kirchenprojekte in Lateinamerika. „Seitdem ich abgebe, kann ich mich auch freuen über eine Urlaubsreise oder ein teures Kleidungsstück.“
Frauen mit Geld haben Macht. Macht, die sich gesellschaftsverändernd auswirken kann. Das jedenfalls beabsichtigt auch die zurzeit in der Gründungsphase befindliche Frauenstiftung „Filia“. Katja Tischer gehört zu den Erststifterinnen. „Filia“ ist gewachsen aus dem Erbinnennetzwerk und will Vermögen gezielt zugunsten von Frauen einsetzen. Ein Migrantinnenprojekt in Castrop-Rauxel wäre da genauso möglich wie ein Lesbenprojekt in Bukarest, Mädchenarbeit in Berlin oder die Förderung von Computerspezialistinnen. Katja Tischer ist das feministische Engagement wichtig. „Frau übers eigene Vermögen zu werden heißt eben auch, gesellschaftliche Macht nutzen zu können und zum Nutzen anderer Frauen zu wirken.“
* Name geändert
ANNETTE KANIS, 31, lebt als freie Journalistin in Düsseldorf
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