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Was, wie, woher

Outing ist eine amerikanische Erfindung, die von den Begleiterscheinungen der Aids-Krise ins Rollen gebracht wurde. Als sich in den frühen Achtzigerjahren allmählich das verheerende Ausmaß der Epidemie zeigte, wurde der Tonfall von Journalisten und Politikern gegenüber Homosexuellen so scharf wie nie zuvor. In der Berichterstattung der Massenmedien über schwules Leben gewannen Häme, Hysterie und die Forderung nach Ausgrenzung die Oberhand.

Dieser Entwicklung setzte erst der Fall des schwulen Schauspielers Rock Hudson ein Ende, der bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1985 sowohl im Film als auch in Berichten der Yellow Press auf die Rolle des Frauenhelden abonniert war. Gerüchte über Hudsons verborgenes Privatleben waren zwar schon seit längerer Zeit im Umlauf. Jedoch erst sein freiwilliges Bekenntnis, schwul und aidskrank zu sein, läutete in der öffentlichen Meinung einen radikalen Umschwung ein. Sein Schicksal offenbarte erstmals gegenüber einer breiten Öffentlichkeit das Dilemma eines erzwungenen Doppellebens, unter dem Hudsons Generation in besonderem Maße gelitten hatte, und führte zu einer beispiellosen Welle der Solidarität und des Mitgefühls.

Amerikas Schwule und Lesben waren nicht so sehr von Hudsons Homosexualität überrascht, sondern viel mehr vom plötzlichen Stimmungswandel, den er in der Öffentlichkeit herbeigeführt hatte. Der Fall führte ihnen vor Augen, wie hilfreich prominente Vorbilder sein können. Daraufhin keimten Hoffnungen auf, die Homosexualität weiterer Größen aus Kultur, Politik und Wirtschaft öffentlich machen zu können – zur Not auch gegen deren Willen. Noch bevor das Time Magazine im Jahr 1990 das Schlagwort prägte, erschien im New Yorker Schwulenmagazin OutWeek das erste spektakuläre Outing als Coverstory mit der Schlagzeile „Die andere Seite des Malcolm Forbes“. Das bis dahin unbekannte schwule Liebesleben des verstorbenen Multimillionärs wurde daraufhin auch in Tageszeitungen thematisiert.

Rasch wurde die Praxis des Outing von den Massenmedien vereinnahmt. So versuchte noch im selben Jahr das People Magazin, Prinz Edwards Schwulsein zu thematisieren, und der National Enquirer knöpfte sich John Travolta vor. Doch alle Fälle, in denen dem unfreiwilligen Outing kein Coming-out folgte, blieb für Schwule und Lesben letztlich ohne Nutzen. Darum wurde die Idee, Schwule und Lesben in traditionell homophoben Institutionen wie Kirche, Armee und Parteien zwangsweise zu outen, von der Bewegung rasch wieder aufgegeben.

AXEL KRÄMER

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