Pakistan steckt in der Zwickmühle

Die Militärregierung steht unter Druck der USA, sich gegen die Taliban zu positionieren, hat aber selbst bisher akzeptierte Radikalislamisten im Land

aus Delhi BERNARD IMHASLY

Mit der wachsenden Wahrscheinlichkeit, dass das afghanische Taliban-Regime wegen seines Gastes Ussama Bin Laden ins Visier eines US-Vergeltungsschlags gerät, erhöht sich der Druck auf Pakistan. Denn die dortige Militärregierung unterstützt als einzige mehr oder weniger offen die Talibun. Washingtons Unterstützung einfodernde Signale sind deutlich. Ein Vertreter des US-Außenministeriums bezeichnete das Treffen der pakistanischen Botschafterin mit Unterstaatssekretär Richard Armitage als Gespräch, das „äußerst offen war und wenig Raum für Missverständnisse ließ. Man kann mit Gewissheit sagen, dass sich die Spielregeln geändert haben“.

Auf der Skala diplomatischer Floskeln kommen solche Worte einem Ultimatum gleich. Als der Flughafen der Hauptstadt Islamabad, der auch eine wichtige Luftwaffenbasis ist, in der Nacht zu gestern für einige Stunden geschlossen wurde, rätselten die Pakistaner: Dient dies der Verteidigung gegen mögliche US-Angriffe? Oder soll im Gegenteil der Flughafen für US-Transporte freigehalten werden?

Diese entgegengesetzten Interpretationsmöglichkeiten zeigen das zwiespältige Verhältnis zwischen Pakistan und den USA und wie sehr die „neuen Spielregeln“ diese Widersprüche nun verdeutlichen. Staatspräsident Pervez Musharraf tat sein Möglichstes, um diesem Druck zu begegnen. Zum zweiten Mal innerhalb von drei Tagen versprach er der Bush-Regierung „rückhaltlose Zusammenarbeit“ und legte erneut ein Bekenntnis gegen den Terrorismus ab. Zugleich erbat sich die Regierung aber Bedenkzeit, als sie mit konkreten US-Forderungen konfrontiert wurde: Schließung der Grenze zu Afghanistan, Einstellung finanzieller Unterstützung der Taliban, Überflugrechte für US-Flugzeuge.

Musharrafs Sprecher General Qureshi hielt weiter an der offiziellen Haltung fest, dass Pakistan „nach wie vor überzeugt ist, dass die Einbindung der Taliban die beste Art ist, mit ihnen umzugehen“. Pakistan gehört mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien zu den drei Ländern, die das Taliban-Regime diplomatisch anerkennen. Offiziell beschränkt sich der Verkehr auf die diplomatische Kommunikation, die deshalb nötig sei, um die internationalen Hilfslieferungen an die Not leidende Bevölkerung zu koordinieren. Im Übrigen befolge Pakistan den Wirtschaftsboykott der UNO „voll und ganz“.

Fragt man dagegen die Taliban-Gegner der „Nord-Allianz“, ist Pakistan der wichtigste Waffenlieferant der Taliban. Im letzten Interview, das der Militärchef der Allianz, Ahmed Schah Massud, vor dem Mordanschlag auf ihn gewährte, erklärte er, Afghanistans Verteidigung befinde sich in den Händen pakistanischer Berater. Er sei überzeugt, „wenn Pakistan es so wollte, könnte Ussama Bin Laden weder Geld noch einen einzigen Araber nach Afghanistan bringen“. Ähnlich analysiert das US-Außenministerium. Im letzten Bericht über „Muster des Globalen Terrorismus“ wird Pakistan beschuldigt, den Taliban Material, Treibstoff, Finanzmittel, technische Kooperation und militärische Berater zu Verfügung zu stellen.

Für Musharraf sind die Taliban auch ein innenpolitisches Problem. Denn in Pakistan, wo die Taliban entstanden, haben sie enge Beziehungen zu islamistischen Parteien. Die Geburtshelferin der Taliban, die „Jamaat Ulema Islami“-Partei, bewies kürzlich ihre Popularität bei einem Treffen in Peshawar mit über einer halben Million Anhängern. Die Deobandi-Sekte, der die Taliban folgen, hat ihre Hauptvertreter in Karachi. Und die zahlreichen Haqqania-Madrassen entlang der afghanischen Grenze gelten noch immer als Ausbildungsstätten für neue Taliban-Kader.

Ussama Bin Laden genießt in vielen Gegenden Pakistans Kultstatus. Als Musharraf den USA versicherte, Pakistan betrachte Terrorismus als Übel, lagen in vielen Bazaren Videokassetten zum Verkauf aus, die für Bin Ladens al-Qaida-Organisation warben. Kaschmir ist ein weiterer Grund, warum Pakistans Militärregierung das Dilemma zwischen der Unterstützung radikaler Organisationen und dem Bekenntnis zu einem gemäßigten Islam immer schärfer spürt.

Der „Befreiungskampf“ im benachbarten Kaschmir wurde in den letzten Jahren auch offiziell immer mehr zum „Heiligen Krieg“ erklärt. Militante Organisationen, darunter die aus der von Bin Laden gegründeten „Internationalen Islamischen Front für den Dschihad gegen die USA und Israel“, dürfen offen für Mitglieder werben, Geld sammeln und Waffen tragen. Als kürzlich Polizeirazzien gegen Gewalt predigende Sekten auch auf die Jihadi-Gruppen ausgedehnt wurden, musste selbst das allmächtige Militärregime rasch zurückstecken – nicht zuletzt aufgrund der Unterstützung, die diese in der Armee genießen.