: „Es darf keinen blinden Zorn geben“
Manfred Opel, SPD-Abgeordneter im Verteidigungsausschuss des Bundestages, will einem Kampfeinsatz der Bundeswehr nur dann zustimmen, wenn die Gefährdung der Soldaten und der Erfolg der Mission im Verhältnis stehen
taz: US-Präsident George W. Bush hat den „ersten Krieg des 21. Jahrhunderts“ angekündigt. Gibt es jetzt Krieg?
Manfred Opel: Krieg bedeutet in amerikanischen Ohren etwas anderes als in europäischen. Die Amerikaner verstehen unter „ihrem“ Krieg, Austeilen ohne Einstecken zu müssen. Das hat mit den europäischen Erfahrungen wenig zu tun.
Ist die US-Regierung nicht einfach nur ehrlicher zu ihren Bürgern – während Rot-Grün die Deutschen über die drohende Gefahr hinwegtäuscht?
Wenn eine Regierung Kriegshysterie erzeugt, dann kann sie von dieser Welle überrollt werden. Die Bundesregierung handelt da sehr besonnen und in Übereinstimmung mit ihren Partnern. Das gilt letztlich auch für unsere amerikanischen Freunde.
Aber auch in Berlin denkt man über eine deutsche Beteiligung an US-Vergeltungsschlägen nach.
Es darf keinen blinden Zorn geben. Wir wollen den Terroristen nicht in die Falle laufen. Darum gilt: Handeln können wir erst nach einer gründlichen Analyse. Wir wollen nicht Unschuldige gefährden oder verletzen. Erst mal müssen wir genau und zweifelsfrei wissen, wer es war.
Und dann zuschlagen?
Nein. Wer glaubt, Militär allein sei die Lösung gegen den Terrorismus, der irrt. Wir müssen die Ursachen des Terrorismus ergründen und gemeinsam bekämpfen. Wir brauchen eine Koalition gegen den Terror. Selbstverständlich müssen darin alle Länder, auch die arabische Welt, miteinbezogen werden. Kein Mensch hat etwas gegen den Islam. Wir wollen eine friedliche Zukunft zusammen mit der arabischen Welt erreichen.
Die Bundesregierung hat bereits die überraschende Verhängung des Bündnisfalles mit dem Argument gerechtfertigt, dass die Amerikaner das von uns erwarten.
Über den Bündnisfall entscheidet allein die Regierung, über Bundeswehr-Kampfeinsätze das Parlament. Von einer „Verhängung“ oder gar einem amerikanischen Druck kann keine Rede sein.
Unter welchen Bedingungen würden Sie in diesem Fall einem Kampfeinsatz der Bundeswehr zustimmen?
Die Parlamentarier tragen bei einer solchen Entscheidung eine sehr hohe Verantwortung. Ich kann jedem Einsatz unserer Soldaten nur dann zustimmen, wenn das die deutlich beste Lösung des Problems ist und wenn gleichzeitig die Gefährdung der Soldaten im Vergleich mit dem Auftrag zu verantworten ist.
Was wäre, wenn die Amerikaner wie im Kosovokrieg um Unterstützung durch deutsche Tornados bitten?
Die Frage stellt sich derzeit nicht. Die Amerikaner werden in erster Linie auf logistische Unterstützung setzen. Ich warne davor, jetzt über Tornados zu reden, weil es auch für die US-Streitkräfte noch kein vernünftiges Einsatz-Szenario gibt. Erst mal müssen wir die Täter und Hintermänner kennen – und die Fakten.
Der Bündnisfall tritt offiziell erst in Kraft, wenn Beweise über die Täter vorliegen. Besteht da nicht für den Bundeskanzler die Versuchung, den Bundestag bereits vorab um die Zustimmung zu einem Militäreinsatz zu bitten?
Wir haben hart für den Parlamentsvorbehalt bei jeder Form von Einsatz gerungen. Der Bundeskanzler wird auch weiterhin jeder Versuchung widerstehen, das Parlament zu umgehen. Im Gegenteil: Er wird die breite Unterstützung des Bundestages aktiv suchen.
Die Abstimmung zum Mazedonien-Einsatz hat gezeigt: Die Regierung hat schon Erfahrung darin, Abgeordnete unter Druck zu setzen. Man wird ihnen sagen, ihr Zögern gefährde den Erfolg der Nato-Operation.
Der Fraktionsvorsitzende hat für Geschlossenheit geworben. Unter Druck wurde niemand gesetzt. Die Demokratie muss Offenheit ertragen, auch die Offenheit bei der Suche nach der politisch besten Lösung.
INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ
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