: „Highnoon vermeiden“
Antje Vollmer glaubt nicht daran, Terror mit Militär zu besiegen
taz: Der Bundestag hat einen deutschen Militäreinsatz gegen den Terror befürwortet. Teilt die Mehrheit der Deutschen diese Haltung?
Antje Vollmer: Das glaube ich nicht. Etwa die Hälfte der Bevölkerung sieht eine militärische Strategie mit Zweifeln und Ängsten. Das muss sich auch im Parlament widerspiegeln, sonst koppeln wir uns von ganzen gesellschaftlichen Strömungen ab. Ich finde dieses militärische Potenzgehabe gefährlich.
Angst ist nicht politisch.
Ich rede nicht von Angst, sondern von Erfahrung. Ich beschäftige mich seit der Zeit der RAF mit Terrorismus. Terrorismus war noch nie durch Militär zu besiegen.
Ussama Bin Laden ist nicht Ulrike Meinhof.
Wenn es überhaupt Bin Laden war. Ich weiß, dass der Terrorismus, von dem wir heute reden, nicht so begrenzt und letztlich doch berechenbar ist wie der Terrorismus seinerzeit in Europa. Aber die endlosen Kriege der Russen in Tschetschenien zeigen auch, dass Militärschläge die Terroristen nicht treffen. Und wenn doch, entstehen neue Terrorgruppen, und zwar als Folge der militärischen Konfrontation und der Mythen, die sie erzeugt.
Im Bundestag zitierte ein Befürworter von Militäreinsätzen Helmut Schmidt: „Verantwortung heißt, nichts zu verschulden, aber auch, nichts zu versäumen.“ Versäumen Sie nicht, neue Antworten auf ein neues Phänomen zu finden?
Neu ist, dass diese Terroristen nicht ideologisch, sondern kulturell motiviert sind. Sie zeigen alle Zeichen einer Sekte: Sie rekrutieren Kinder, halten sie in fast klösterlicher Isolation und programmieren sie für eine Mission, die ebenso viel Männer- wie Todeskult enthält. Eine militärische Attacke auf eine solche Sekte erfüllt genau das Weltbild, für das sie scharf gemacht wurden.
Aber was lässt sich schon gegen Weltbilder unternehmen?
Wenn ich aus dem Deutschen Herbst etwas gelernt habe, dann dass man eine Highnoon-Situation vermeiden muss. Wenn wir uns auf Konfrontation in weltweiter Phalanx versteifen, werden wir schnell obsessiv. Dann gibt es nur noch Gute und Böse – und im Mittelfeld bleibt niemand übrig. Auf heute bezogen bedeutet das, wir entfremden die islamische Welt, statt sie einzubinden und zum Teil der Lösung zu machen.
Das Problem sind doch einzelne Extremisten.
... die aber eine kollektive Identität haben. Es gibt ganze ethnische Gruppen, die radikalisieren sich mit der Behauptung, ihnen geschehe Unrecht. Zur Gewalt greifen sie aber auch, weil die westliche Welt ihre Aufmerksamkeit willkürlich verteilt: Mal schauen wir hin, mal schauen wir weg. Unsere Aufgabe sollte darin bestehen, diesen verletzten und gekränkten Globalisierungsverlierern einen institutionellen Ausweg zu bieten. Daher habe ich einen Internationalen Gerichtshof für Minderheiten vorgeschlagen.
Die FAZ hat in Deutschland eine Sozialarbeitermentalität ausgemacht. Es herrsche die Vorstellung, man müsse die Terroristen nur verstehen, um den Konflikt zu lösen.
Ich sehe genau so viel Sozialarbeitermentalität wie patriotische Selbstmissionierung. Die politische Stimmung hat sich doch gewandelt. Die große Trauer und das Entsetzen über die Anschläge sind inzwischen in ein Entschlossenheitspathos umgeschlagen. Das war ja in der Bundestagsdebatte schon zu merken, als Friedrich Merz von der „Nationalen Allianz der Entschlossenheit“ sprach – eine hohle und hitzige Phrase. Was wir brauchen, ist mehr Nüchternheit.
Nüchternheit allein stoppt keine Terroristen.
Aber sie ist der Anfang von der Wahl der richtigen Mittel, etwa einer internationalen Antiterrortruppe – einer, die für diesen besonderen Fall geeignet wäre.
Also doch Militär?
Nein, ich denke da an Polizeikräfte der UNO. Das ist eine der unerledigten Aufgaben der Globalisierung. Terroristen ist nicht mit schönen Worten beizukommen – allerdings auch nicht mit dem mentalen und realen Aufmarsch einer internationalen Militärallianz, der genau das Bedürfnis nach einem finalen Endkampf zweier Kulturen befriedigt.
Kanzler Schröder und Außenminister Fischer scheinen nicht auf neue Institutionen zu bauen. Sie fordern unbedingte Solidarität mit den USA.
Ich finde beide sehr besonnen in ihren Reaktionen. Es ist richtig, ganz dicht bei den Amerikanern zu bleiben. Aber man muss sich den Kopf für Lösungen freihalten, die fern der Eskalationsrhetorik liegen. Fischer zeigt das ja gerade mit seinem Engagement für Frieden im Nahen Osten.
Glauben Sie im Ernst, Rot-Grün kann sich aus der Entschlossenheitseuphorie noch befreien?
Die Regierungsparteien werden sich daraus befreien.
Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?
Ich glaube an unsere Fähigkeit, die Fassung wiederzugewinnen – weil wir die Katastrophe nicht lieben. Außerdem: Die Deutschen sind nicht kriegsfähig, das weiß doch jeder.
INTERVIEW: JENS KÖNIG/ PATRIK SCHWARZ
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