: Die Qual der Farbwahl
In einer nicht ganz ernsthaften Aktion sollen Berliner und andere über die künftige Farbe des Brandenburger Tores entscheiden. Was ist das Original, und welche Farbe ist die attraktivste? Zur Abstimmung stehen: Weiß, Grau, Natur und „Caffee au lait“
von ROLF LAUTENSCHLÄGER
So richtig ernst kann man die Aktion „Farbe bekennen. Wählen Sie eine Farbe für das Brandenburger Tor“ nicht nehmen. Ist sie wohl auch nicht. Zum einen soll quasi per Volksabstimmung über das zukünftige Aussehen des Berliner Wahrzeichens entschieden werden. Das sieht aber die Verfassung des Landes in dieser Form nicht vor. Zum anderen gleichen die Wahlurnen Kaugummiautomaten, in die man einen Pfennig steckt und durch Drehen des Knopfes über dem Geldschlitz seine Stimme abgibt. Jeder Wahlleiter würde da nie wieder „Spearmint“ kauen. Und drittens dürfen auch all jene mitspielen, die noch nicht im rechten Wahlalter sind oder als Touristen die Stadt unsicher machen und ebenfalls einen „Wahlpfennig“ in die Brandenburger-Tor-Wahlbox werfen. Schwaben tun das sicher nicht, aber vielleicht Bayern, Thüringer oder Bremer. Und die sollen über die Farbe unseres Symbols entscheiden? Niemals.
Einem freilich war es Ernst mit der Aktion, die seit gestern bis zum 22. Oktober vor dem Hotel Adlon – im Angesicht des noch eingerüsteten Tores – über die Bühne gehen soll. Lothar de Maizière, letzter DDR-Regierungschef und heute Vorsitzender der Stiftung Denkmalpflege, baute sich vor den vier Modellen, die zur Auswahl stehen, auf. Sagte ganz ernsthaft, dass die Umfrage über vier kleine Tore in Weiß, „Caffee au lait“ (Ocker), Grau oder Sandsteinfarben Einfluss auf die „endgültige Fassung“ des Tores haben werde. Sagte, dass „die unterschiedlichen Farben“ der vier Modelle jeweils eine Epoche in der wechselvollen Geschichte des Tores widerspiegelten. Und er sagte, dass mit jedem Pfennig eine gute Tat für die Stiftung und die 5 Millionen Mark teure Sanierung des maroden Tores getan würde. 2002 soll es im alten Glanz erstrahlen. Nur in welchem Glanz?
Demokratie pur ist eine Sache. Aber welchen Wert hat sie, wenn die Wahl nicht frei ist? Zu bedenken gab dies eine Mitarbeiterin des Bausenators, dessen Verwaltung die Abstimmung mit initiierte und die Parole ausgab: „Entscheiden Sie mit!“ Warum, so die Mitarbeiterin, „hat man nicht auch noch andere Farben zur Wahl zugelassen?“ Etwa Grün oder „Schweinchenrosa“. Und wie bewertet man die Wahl, wenn beispielsweise berüchtigte Freunde Altberlins heimlich gleich 100 Mal einen Pfennig in die Box „Weiß“ werfen, weil dies die Farbe war, die 1791 nach der Erbauung des Tores von Langhans so preußisch-klassisch daherkam?
Bausenator Peter Stieder (SPD) selbst (auch im Sinne des Denkmalschutzes) riet gestern zu keiner spezifischen Farbe, weil ihm wohl das „strahlende Grau“, das die Säulen und die Attika nach ihrer Laserreinigung ganz natürlich zeigen werden, am besten gefällt. Wahlbeeinflussung im Sinne der Verwirrung des politischen Gegners wollte er sich dennoch nicht entgehen lassen: Der Mann befindet sich ja schließlich im Wahlkampf.
Nach Meinung Strieders hat man die Qual der Wahl. 1791 bis 1804 trug das Tor einen weißen Anstrich, hatte doch der preußische Staat kein Geld, die Architektur in Marmor ausführen zu lassen, und tat so, als ob. Danach tauchte man es in verschiedene mehr oder weniger bräunliche Ockertöne – von der Berliner Schnauze auch Tor in „Caffee au lait“ genannt.
Nach dem Umbau des Brandenburger Tores 1867 bis in die 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts schimmerte es in verschiedenen Grautönen. Seit 1926 hatte es den uns bekannten und immer schmutziger werdenden „Natursteinton“. Was also ist das Original und welche Farbe „elektrisiert die Stadt“ (Strieder) am meisten?
Sicher ist nichts. Oder doch? Die Abstimmung wird zur Aufbesserung der Sanierungskasse dienen. Die Wahl wird die Entscheidung der Denkmalpflege nicht beeinflussen, sie höchstens unterhalten. Und viele werden ihren Spaß haben, im Gefühl, bei einer wichtigen Sache mitgewirkt zu haben. Und sicher ist auch, dass das Geld nicht geklaut werden wird. Strieder: „Die eingeworfenen Pfennige werden täglich eingesammelt und gezählt.“ Aber welcher Dieb stiehlt heute noch Pfennigbeträge?
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