: Stehen und warten, bis es knallt
Eine Straßenkreuzung in Rudow ist immer wieder Ausgangspunkt für Auseinandersetzungen zwischen rechten sowie türkischen und arabischen Jugendlichen. Zuletzt wurde eine Konfirmandenfeier überfallen. Notizen aus einem Randbezirk
von KIRSTEN KÜPPERS
Die Kreuzung hat einen Namen. Die Leute nennen sie „Rudower Spinne“. Weil Straßen wie Spinnenbeine von ihr weggehen. Spinnen sind keine schönen Tiere, dieser Ort ist kein freundlicher Platz.
Die Straßen führen zum Flughafen Schönefeld, zur Autobahn Richtung Dresden, in die Wohnsiedlungen am Stadtrand. Der Verkehr ist laut, Busse schieben vorbei, Menschen hasten weiter. Dies ist kein Ort für die Jugend. An einer Imbissbude kann man stehen oder am U-Bahn-Ausgang. Stehen und stehen und warten; die Schriftzüge des Einkaufzentrums verändern sich nicht.
Trotzdem treffen sich hier die Rudower Jugendlichen. Die Rechten auf der einen Seite, die anderen gegenüber. Stehen und warten, so lange bis es knallt. Danach ist für eine Zeitlang Ruhe. Die Rache folgt.
Geknallt hat es am Freitag vergangener Woche. Nicht an der Kreuzung, sondern am Zentrum der evangelischen Kirchengemeinde. Gegen 21 Uhr 30 stürmten etwa 15 Jugendliche aus der rechten Szene mit Eisenstangen bewaffnet das Haus. Etwa 100 Konfirmanden und deren Freunde, darunter viele ausländische Jugendliche, feierten dort eine Fete mit Disko. Die Rechten schlugen Fensterscheiben ein, zertrümmerten Mobiliar. Der Angriff dauerte etwa zwei Minuten, verletzt wurde niemand.
Nachdem die Polizei am Gemeindezentrum eintraf, kommt es zu Verfolgungsjagden in den Rudower Straßen, sie dauern bis tief in die Nacht. Die Beamten nehmen vier rechte Jugendliche vorläufig fest, übergeben sie später ihren Eltern, leiten Strafverfahren ein; gegen zwei Jugendliche laufen Anzeigen wegen schwerem Landfriedensbruch.
Joachim Latkowski, seit 22 Jahren Pfarrer, seit zwölf Jahren in Rudow meint: „In all den Jahren ist mir eine solche Eskalation von Gewalt gegen Gemeindearbeit noch nicht vorgekommen.“ Das klingt wie ein Schock. Dabei schwelen in Rudow die Konflikte unter den Jugendlichen schon lange, bereits seit mehr als drei Jahren geht das so. Alle hier wissen das: die Mitarbeiter der Kirchengemeinde, die Polizei, die Leute vom Jugendclub, die Trinker an der Imbissbude, die Jugendlichen selber.
Der Anschlag soll ein Racheakt gewesen sein.Von den Neonazis aus dem Umfeld der „Spinnebomber“, heißt es. Die Jugendlichen werden so genannt, weil sie an der Rudower Kreuzung stehen. Fast jeden Abend. Am „Ketchup“-Imbiss. Bier trinkend, die Autoradios auf dem benachbarten Parkplatz aufgedreht. Vor kurzem haben sie einen türkischen Jungen auf der anderen Straßenseite mit einer abgeschlagenen Flaschenhals bedroht, erzählt man sich. Der Junge zog ein Messer und schnitt einem der Rechten in den Hals. Die Nazis wollten Vergeltung, sagt einer.
„Schlägereien gibt es oft. Zwischen den Spinnebombern und den Türken oder Arabern“, meint Markus. Der 16-Jährige war einer der Gäste auf der Party im Gemeindehaus. Dort hat es schon häufig Ärger mit betrunkenen Rechten gegeben. Aber die Lage verschärfe sich. Markus bezeichnet das, was er jeden Tag als Jugendlicher in Rudow erlebt, als „eine Art Krieg“.
Auch Rainer Hadan, Kommissariatsleiter für Jugendgruppengewalt bei der Kripo, kennt die Konflikte. Ausgetragen werden sie an der Straßenkreuzung, am evangelischen Gemeindehaus oder um den Jugendclub „NW 80“. Einen großen Polizeieinsatz gab es vor zwei Jahren in Rudow als die Rechten auf Flugblättern zur „1. Rudower Türkenjagd“ aufgerufen hatten. Bisweilen stünden sich auf der Straße zum Jugendclub zweihundert wütende Jugendliche gegenüber, bereit, sich zu prügeln, sagt Hadan. Die Polizei beobachtet, kontrolliert, leitet Strafverfahren ein. Mehr kann sie nicht tun.
Dabei ist Rudow eigentlich kein Problembezirk, sagt Hadan. Gutbürgerliche Verhältnisse. Deutlich weniger Arbeitslose als anderswo in Berlin. Freilich habe sich die Gegend in den letzten 15 Jahren sehr verändert. Aus dem alten Dorf mit kleinen, einstöckigen Häusern und kopfsteingepflasterten Straßen ist eine städtische Randlage geworden. Auf die einstigen Felder wurden Einfamilienhaussiedlungen und Blöcke im sozialen Wohnungsbau errichtet. Und plötzlich gab es auch sehr viel mehr Jugend am Ort, sagt Hadan. Jugendliche deutscher, türkischer, arabischer, polnischer und russischer Herkunft.
Das erklärt nicht die Gewalt. Aber das sagt etwas über die Rechten, meint Hadan. Es handele sich nicht um eine straff organisierte Kameradschaft wie in Treptow oder Marzahn. Eher um eine „lose Gruppierung von 35 bis 50 Mann zwischen 17 und 21 Jahren“, die vor allem ihre Platzrechte in Rudow verteidigen wollten.
Die meisten von ihnen kommen, so Hadan, aus geordneten Verhältnissen, seien berufstätig und nach Feierabend „dem Alkohol sehr zugetan“. Betrunken käme es regelmäßig zu Delikten wie Beleidigungen, Sachbeschädigung, schwerem Landfriedensbruch und schwerer Körperverletzung. Nach Wissen der Polizei haben die Rudower Rechten indes kaum ernst zu nehmende Kontakte zu neonazistischen Organisationen oder Parteien. Noch weniger sind die ausländischen Jugendlichen organisiert. „Wenn es Ärger gibt, machen sie eine Telefonkette. Dann sind alle Freunde da“, weiß Hadan.
Am Ketchup-Imbiss treffen sich diesmal nur zwei alte Trinker im Nieselregen. Die Vorstadtbeschaulichkeit beschreibt der 18-jährige Martin als „Ruhe vor dem Sturm“. Martin steht da und wartet auf den Bus. „Die meisten kennen sich ja alle noch von früher, vom Fußball“, sagt er. Irgendwann, plötzlich hat sich diese Feindschaft entwickelt. „Der Anschlag auf die Konfirmandenparty wird jedenfalls gerächt.“ Dann kommt Martins Bus. Die Frau vom Imbiss sagt: „Zu mir sind die eigentlich immer ganz freundlich.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen