: Schwere Geschütze für den Frieden
Weil er sich bei einer Kundgebung für die Terroropfer gegen den Kriegsdienst aussprach, wurde ein Siegener Lehrer vorerst aus dem Schuldienst entfernt
aus Siegen BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA
Bernhard Nolz trägt einen Vollbart und eine runde Brille, die ihn ein bisschen wie John Lennon aussehen lässt. Nicht ganz so schmal im Gesicht, aber irgendwie friedlich. An den Fingern stecken so viele Ringe, dass sie kaum zu zählen sind. An einem hängt ein kleines Peace-Zeichen. Auch den Schlüsselbund von Nolz ziert das Symbol der Friedensbewegung. Seit acht Jahren unterrichtet der Pazifist an der Siegener Gesamtschule, benannt nach der Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner. „Peacemaker“ wird der 57-Jährige genannt – oder „Friedensheini“.
Doch seit dem 11. September ist es mit dem Schulfrieden vorbei. Eine Woche nach den Anschlägen in den USA hatte Nolz, Lehrer für Deutsch und Gesellschaftslehre, langjähriger Vorsitzender der Initiative „Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden“ und Geschäftsführer des Siegener „Zentrums für Friedenskultur“, auf einer Trauerveranstaltung von 14 Schulen eine Rede gehalten. Die Schülervertretung der Gesamtschule hatte den Trauermarsch organisiert. Doch die Schüler selbst wollten sich auf das Anzünden von Kerzen beschränken. Die richtigen Worte trauten sie sich nicht zu.
Schon lange sind in der 110.000-Einwohner-Stadt nicht mehr so viele Menschen zusammengekommen wie bei der Trauerkundgebung. Stilles Gedenken war geplant, doch die Rede von Nolz hat für Aufruhr in der verschlafenen Stadt in Südwestfalen gesorgt. Und dem Lehrer eine vorläufige Suspendierung beschert. Denn er hat die 3.000 Schüler zwischen zehn und zwanzig Jahren aufgerufen, den Kriegsdienst zu verweigern, wenn sie im wehrpflichtigen Alter sind.
„Oh Gott, was macht der Mann? Kann man ihn nicht von der Rednerbühne runterzerren?“, schoss es Hannes, dem 17-jährigen Schülersprecher der Suttner-Schule, sofort durch den Kopf. Die Rede wurde mit Applaus bedacht, doch die Schülervertretung fühlt sich hintergegangen.
Ihre Wahl war zwar bewusst auf Nolz gefallen, der neben der Schule auch Kriegsdienstverweigerer berät. Aber die Schüler hatten ihn gebeten, ausschließlich der Terroropfer zu gedenken und die Politik außen vor zu lassen. „Nolz hat sich nicht an die Absprache gehalten“, sagt Hannes.
Auch Schuldirektor Walter Karbach, ein besonnen wirkender Mann mit gestutztem Vollbart und Brille, hat für den Alleingang kein Verständnis. „Ich hatte Nolz dringend geraten, die Absprache mit den Schülern einzuhalten.“ Doch nicht der Inhalt der Rede bereitet dem SPD-Mitglied Magenschmerzen. Nolz habe seine Rede zum falschen Zeitpunkt vor dem falschen Publikum gehalten, so Karbach.
Unter Zugzwang
Bevor der Streit intern geklärt werden konnte, fühlte sich die Schule durch einen Kommentar in der Siegener Zeitung unter Zugzwang. Von einem „politischen Eklat“ war da die Rede und von mangelndem „Augenmaß“ des Direktors. Am Tag nach der Kundgebung distanzierten sich die Schüler in einem offenen Brief von der Rede. Das Gesprächsangebot von Nolz lehnten sie ab. Die Leiter aller an der Kundgebung beteiligten Schulen verurteilten die Rede in einer Stellungnahme „aufs Schärfste“. Tagelang waren die Zeitungen mit Leserbriefen zu der „Hetzkampagne“ von und gegen Nolz gefüllt.
Der Friedenspädagoge, vorerst beurlaubt und – weil alles über ihn hereinbrach – krank, fuhr schwere Geschütze auf. Drei Schülervertretern seiner Schule stellte er ein schriftliches Ultimatum. Diese sollten richtigstellen, dass er nicht zur Verweigerung des Wehr-, sondern des Kriegsdienstes aufgerufen hat. „Indem ihr öffentlich die Unwahrheit behauptet und öffentlich unterstellt, dass ich eine Straftat begangen hätte, macht ihr euch selbst strafbar. So viel ich weiß, muss hier die Staatanwaltschaft gegen euch ermitteln, weil ich als Beamter unter dem besonderen Schutz des Staates stehe.“ Damit war für Karbach die „Gesprächsgrundlage entzogen“.
Doch im WDR warnte der Schulleiter auch vor einer Hetzkampagne gegen seinen Lehrer. Denn wenige Tage nach der Kundgebung hatte die örtliche CDU zum Angriff auf das „Zentrum für Friedenskultur“ geblasen, dessen Geschäftsführer Nolz ist. Die Christdemokraten wollten plötzlich „Steuerverschwendung“ entdeckt haben. Wenige Tage vor der Kundgebung hatte das Düsseldorfer Umweltministerium dem Friedenszentrum Projektgelder in Höhe von knapp 100.000 Mark bewilligt.
Gefundenes Fressen
Gefundenes Fressen für den CDU-Verteidigungsexperten und Siegener Bundestagsabgeordneten Paul Breuer. Der Major der Reserve, der während des Golfkriegs eine amerikanische Fahne im Garten gehisst hatte, warf Nolz „krude pazifistische Ideen“ vor, mit denen „wir heute von der RAF regiert würden“. Und in einem Brief an Wolfgang Clement fragte er den „sehr geehrten Herr Ministerpräsident“, wie es angehen kann, „dass eine solche massive geistige Umweltverschmutzung“ gefördert wird. Vorsorglich informierte Breuer zudem den Staatsschutz. Auf der Seite des linken Internetprojektes „nadir“, das im aktuellen Verfassungsschutzbericht als ein „Informationsportal“ mit Aktivitäten von Linksextremisten erwähnt wird, gebe es einen Link zu den „Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden“. Die Initiative hat ihre Geschäftsstelle wiederum im Friedenszentrum.
Schulleiter Karbach, der wie einige Lehrer auch Fördermitglied des Zentrums ist, fühlt sich nicht ganz wohl in seiner Haut: sich einerseits von der Rede zu distanzieren und andererseits „kritische Solidarität“ zu üben, um Nolz „nicht Breuer und Co. auszuliefern“. „Ein Eiertanz“, „eine Gratwanderung“, sagt Karbach. Einzige Möglichkeit, doch noch die Friedenspfeife zu rauchen: Nolz solle sein ohnehin verstrichenes Ultimatum zurückziehen und seine „Fehleinschätzung“ einräumen, dass es ein Trauermarsch und keine politische Kundgebung war. „Wenn er sich nicht bewegt, wird es eng.“
Eigenen Prinzipien treu
Doch Nolz bleibt sich und seinen Prinzipien treu. Gebetsmühlenartig spricht er immer wieder vom „Frieden durch Kommunikation“. Das Ultimatum an die Schüler begründet er damit, „an die Wand gedrückt worden zu sein“. Von einer Ungleichheit der Waffen zwischen Lehrer und Schülern will er nichts wissen. „Ich habe ein Recht darauf.“ Nolz ist sich keiner Schuld bewusst. „Ich rufe zum Frieden auf und soll dafür belangt werden“, sagt er und dreht gelassen an seinen Ringen. Schließlich habe er nur das getan, was er seit Jahren tut: Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene „in ihrer Kritik an jedem militärischen und nationalistischen Denken zu bestärken und ihnen friedliche Alternativen positiv erlebbar zu machen“.
Der Friedenspädagoge weiß, wovon er spricht – war er doch selbst bei der Bundeswehr. „Ich war damals noch nicht soweit.“ Und: „Ich hatte nicht so einen Lehrer.“ Es ist klar, dass Nolz über Nolz spricht. „Aus finanziellen Gründen“ verpflichtete sich Nolz für zwei Jahre bei der Bundeswehr. Doch es habe sich „ganz schnell herausgestellt, dass es die falsche Entscheidung war“. Die Kameradschaft, von der ihm sein Vater immer vorschwärmte, empfand er als „Saufkumpanei“. Er fühlte sich unterdrückt, in seinen Grundrechten eingeschränkt. Als Nolz mit Ende 30 als Reservist eingezogen werden sollte, verweigerte er mit einer 13 Seiten umfassenden Begründung den Kriegsdienst. Gelassen wartet er nun auf den Ausgang des Disziplinarverfahrens. Bis zum 20. Oktober will die Bezirksregierung entscheiden.
Der finanzpolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion, Johannes Remmel, der sich für die Fördergelder stark gemacht hatte, spricht von einer „gezielten Kampagne“ gegen das Friedenszentrum. Die CDU, allen voran Breuer, bediene „mit gezielten Provokationen und Polarisierungen das rechte Klientel“. Das sei ein bekannter Stil, der jedoch „nie Früchte getragen hat“.
Das Projekt, das das „Zentrum für Friedenskultur“ mit den Fördermitteln realisieren will, heißt übrigens „Friedliche Konfliktbearbeitung als Grundlage konstruktiver BürgerInnen-Beteiligung in Siegen“. Doch noch sind keine Friedenstauben im Anflug.
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