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Sehr bedingt einsatzbereit

Der Verteidigungsminister stürzt Vertreter aller politischen Lager in Ratlosigkeit: Was macht er denn jetzt schon wieder? Und vor allem: Warum?

von BETTINA GAUS

Niemand soll sagen dürfen, der deutsche Verteidigungsminister sei nicht lernfähig. Hohn und Spott hatte Rudolf Scharping über sich ergehen lassen müssen, weil er letzte Woche im ARD-Morgenmagazin voreilig verkündet hatte, die Nato werde „sehr wahrscheinlich“ noch am selben Tag den Bündnisfall ausrufen. Als diese Vorhersage sich als falsch erwies, zog er es vor, zu dem Thema überhaupt nichts mehr zu sagen. Auch nicht im Kabinett. Das tagte am Dienstag zufällig zeitgleich mit dem Nato-Rat, als der tatsächlich den Bündnisfall erklärte.

Rudolf Scharping kann durchaus schweigen – jedenfalls dann, wenn es nicht angebracht ist. Kein Sterbenswörtchen erfuhr die Ministerrunde von ihm. Sie war für die allseits interessierende Neuigkeit auf andere Quellen angewiesen, zum Beispiel auf Nachrichtenagenturen. Offen bleibt die Frage, ob Scharping schwer durchschaubare eigene Ziele verfolgt, ob er ungewöhnlich schlecht informiert ist oder ob er die Informationen nicht versteht, die er bekommt. Fest steht hingegen, dass er sich so keine Freunde macht. Die könnte der Minister aber gerade jetzt besonders gut brauchen.

Anders als im Kosovo-Krieg steht er derzeit nicht im Zentrum eines politischen Streits. Es ist schlimmer: Der Verteidigungsminister eint Vertreter aller politischen Lager im gemeinsamen Gefühl vollständiger Ratlosigkeit. Was macht er denn jetzt schon wieder? Und vor allem: Warum? Manchmal genügt es, den Namen von Rudolf Scharping einfach zu erwähnen, um derlei irritierte Fragen hervorzurufen. Die kollektive Verwirrung rührt nicht allein vom Inhalt zahlreicher seiner Äußerungen her, sondern auch daher, wann er etwas sagt – und in welchem Ton.

Der Minister spreche in eigener Verantwortung, erklärte Uwe-Karsten Heye gestern. Deutlicher kann sich ein Regierungssprecher nicht von einem Kabinettsmitglied distanzieren. Für das Ringen um Abstand gibt es gute Gründe: Während Bundeskanzler Gerhard Schröder sich seit Wochen darum bemüht, die schwierige Balance zwischen Bündnissolidarität und Besonnenheit zu halten, erweckt sein Minister den Eindruck, den Beginn des Krieges gar nicht mehr abwarten zu können. Notfalls könne die Bundeswehr auch ohne vorherige Zustimmung des Parlaments an einem Einsatz teilnehmen: wenn nämlich „Gefahr im Verzuge“ sei, teilte er mit. Eine ebenso zutreffende wie überflüssige Bemerkung. Über die Auslegung dieser juristischen Formulierung streiten Experten immerhin seit Jahren.

Kaum hatte die Nato den Bündnisfall ausgerufen, da betonte Scharping nachdrücklich, die militärischen Möglichkeiten der Bundeswehr gingen „über Sanitätsdienste und logistische Unterstützung hinaus“. Generalinspekteur Harald Kujat versuchte gleichzeitig, allzu hochgesteckte Erwartungen zu dämpfen. Scharping focht das nicht an. Nur einen Tag später mahnte er: „Wir dürfen jetzt nicht feige und ängstlich sein.“ Heranwachsende Knaben machen sich mit derartigen Formulierungen gerne Mut. Die meisten Verteidigungsminister haben irgendwann gelernt, dass Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit ist.

Rudolf Scharping offenbar nicht. Er stürmt einsam nach vorne. Während der geachtete Bundeswehrgeneral Klaus Reinhardt die bisher seitens der USA bekannt gewordenen Wünsche als „angemessen, moderat und sehr vernünftig“ bezeichnete, meldete sich der Minister in der Bild-Zeitung mit kryptischen Ankündigungen zu Wort: Es werde „keine Tauschgeschäfte nach dem Motto Scheckbuch statt Soldaten geben“, und bis zur Entscheidung über konkrete Hilfeleistungen werde es „nicht mehr lange dauern“. Auch in anderen Interviews raunt er derzeit gerne: „Wir dürfen nicht allein auf Afghanistan schauen, das jetzt zu Recht im Mittelpunkt steht.“ Was er damit konkret gemeint haben könnte, wollte er auf Nachfrage nicht erzählen.

Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel findet, dass Scharping für erhebliche Irritationen gesorgt hat. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle nennt es „in keiner Weise akzeptabel“, dass Scharping durch „Spekulationsmeldungen“ über den Bundeswehreinsatz für Unruhe sorge. Beide haben erstens Recht – und zweitens allen Grund zur Dankbarkeit. In Zeiten wie diesen ist es für die Opposition erfahrungsgemäß besonders mühsam, sich gegenüber der Regierung profilieren. Fehlleistungen des Verteidigungsministers sind da ein Gottesgeschenk.

Der Kanzler hat erkennbar weniger Grund zur Freude. Er warnte jetzt ausdrücklich vor „abstrakten Debatten“ über Zeitpunkt und Umfang einer deutschen Militäraktion. Nett gesagt – aber kann er Scharping mit derartigen Mahnungen noch einfangen? Gerhard Schröder agiert häufig zögerlicher, als es nach außen hin den Anschein hat. Den richtigen Zeitpunkt für die Entlassung seines Ministers hat er nach Einschätzung mancher Beobachter schlicht verpasst. „Er hatte noch einmal eine Chance“, sagt einer von ihnen. „Mit den zusätzlichen Mitteln aus dem Anti-Terror-Paket hätte er vielleicht einen locken können, der nur zu kommen bereit wäre, wenn er mehr Geld für die Bundeswehr bekommt. Jetzt ist es vorbei.“

Vor ein paar Wochen schien die Entlassung von Scharping unmittelbar bevorzustehen, nachdem er mit einem verliebten Interview, umstrittenen Flügen und indiskreten Äußerungen zum Mazedonien-Einsatz der Nato ins Gerede gekommen war. Da Rudolf Scharping bisher aber nicht entlassen wurde, wird er nun wohl auch noch die Zeit bis zu den nächsten Wahlen überstehen – jedenfalls dann, wenn er sich keinen dramatischen Fehler mehr leistet. Eigentlich könnte ihm die Entwicklung die Führung der Amtsgeschäfte in mancher Hinsicht ein bisschen leichter machen als bisher. Immerhin landen 1,5 Milliarden des neuen Anti-Terror-Pakets in seinem Haushalt.

Aber die Freude über den Geldsegen wird getrübt. Es ist vorgesehen, dass sich Scharping jedes Projekt, das aus dem Paket finanziert werden soll, von Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier genehmigen lassen muss. Als ob der sonst nichts zu tun hätte. Wenn es tatsächlich dazu kommt, dann wirft das ein bezeichnendes Licht darauf, wie groß das Misstrauen gegen den Minister in den eigenen Reihen mittlerweile ist.

Wo findet Rudolf Scharping verbündete Truppen? Wohl kaum in den Reihen der Militärs. Der Vorsitzende des Bundeswehrverbands Bernhard Gertz wagte sich mit seiner Kritik weit vor. Der Minister sei nicht mehr tragbar. Wer höchster Vorgesetzter von Soldaten sei, die in gefährliche Einsätze geschickt würden, müsse deren Vertrauen und Respekt besitzen sowie Autorität ausstrahlen: „Diese drei Vokabeln sind derzeit bei Herrn Scharping nicht erfüllt“, sagt der Oberst a.D. Viele aktive Bundeswehrsoldaten sehen das ganz ähnlich. Sie dürfen es nur nicht so offen sagen. „Als Soldat habe ich die Politik des Ministers nicht zu kritisieren“, sagt ein Offizier. „Aber ich bin dienstlich nicht dazu verpflichtet, ihn menschlich zu respektieren.“ Ein anderer meint: „Niemand mag es, wenn sein Chef eine schlechte Figur macht. Das wertet auch die eigene Arbeit ab. Mit Politik hat das gar nichts zu tun.“ Rudolf Scharping hält Kritik an seinem Verhalten für eine von außen gesteuerte Kampagne. Aber die Zahl derer wächst, die meinen, die Kampagne sei allein vom Minister selbst gesteuert.

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