piwik no script img

Der Blick in Schills Wohnzimmer

■ Die Koalitionäre wollen Haftbedingungen verschärfen und nehmen menschenunwürdige Unterbringung in Kauf

Sobald der Koalitionsvertrag unterzeichnet ist, soll nicht nur die Zahl der Gefangenen in Hamburg weiter steigen; erklärtes Ziel vor allem von Ronald Schill ist es, härter gegen StraftäterInnen vorzugehen. Die sollen zudem einen Aufenthalt im Gefängnis erleben, der sie selbst und potentielle NachfolgerInnen von Straftaten abschrecken soll. Zurzeit aber, so Schill bei der Präsentation der Ergebnisse der Koalitionsgespräche am Wochenende, würden Gefängniszellen „mehr an Wohnzimmer als an Haftplätze“ erinnern. Künftig, kündigte er an, sollten diese nicht mehr „so komfortabel ausgestattet sein“.

Bei diesem Teil ihrer Koalitionsgespräche haben die Juristen Ronald Schill und Ole von Beust allerdings das Gesetz übersehen. Bei der Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe lautet die Strafe Freiheitsentzug und nicht menschenunwürdige Unterbringung. Im Gegenteil heißt es im Strafvollzugsgesetz: „Das Leben im Vollzug soll den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen werden.“ Was unter „allgemeinen Lebensverhältnissen“ zu verstehen ist, ist sicher Auslegungssache. Und die taz hatte auch noch keinen Einblick in Ronald Schills Wohnzimmer. Es darf aber davon ausgegangen werden, dass dieses mehr als acht Quadratmeter groß ist, kein Oberlicht sondern mindestens ein Fenster in Blickhöhe hat, mit Radio, Fernseher und womöglich weiterer Technik ausgestattet ist und dass sich die Toilette wahrscheinlich nicht mit im Raum befindet, ebensowenig wie Bett und Kleiderschrank. So aber sehen die Zellen in Hamburgs Knästen aus.

Als konkrete Maßnahme verständigten sich die künftigen Koalitionäre darauf, dass Gefangene in ihrer Zelle keinen Fernseher mehr haben dürfen. In Santa Fu beispielsweise werden die Insassen abends um 19.30 Uhr in ihre Hafträume eingesperrt. Ab da wird die Zeit bis zum Einschlafen überwiegend mit Fernsehen verbracht. Werden die Gefangenen hingegen zum Nichtstun verdonnert, dürfte das Aggression erzeugen. „Wir sind nicht dazu da, die Leute in den Wahnsinn zu treiben“, sagt dazu ein Vollzugsleiter, der nicht genannt werden möchte. Schon jetzt landen immer wieder Insassen mit „Haftkoller“ in Fesselbetten auf der Beobachtungsstation. Im Übrigen haben Insassen das Recht auf Information, zumindest durch Radiohören.

Zudem haben CDU, Schill und FDP sich darauf verständigt, Vollzugslockerungen restriktiv zu handhaben. Laut Strafvollzugsgesetz werden die aber ohnehin nur gewährt, wenn der Insasse sich im Knast bewährt und deshalb für Lockerungen wie zum Beispiel Freigang als geeignet gilt. Dadurch soll der Übergang vom Knastalltag in die Freiheit vorbereitet und erprobt werden. Die Nichtrückkehrerquote bei Ausgängen lag im vorigen Jahr bei 0,6 Prozent.

Elke Spanner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen