: Lachend in die Niederlage
Besuch eines Champions-League-Abends in einem der Clubräume von Fenerbahce Berlin: Hier hat man vor dem deutschen Fußball noch Respekt – und sogar Carsten Ramelow wäre willkommen
von ANDREAS RÜTTENAUER
Es steht nicht gut um Fenerbahce Istanbul. Nach der Niederlage gegen Bayer Leverkusen stehen immer noch null Punkte auf dem Konto der Türken in der Vorrundengruppe F der Fußball-Champions-League. Gar nicht gut sieht es derzeit auch für die Mannschaft des Fenerbahce Spor Kulübü Berlin 1989 in der Bezirksliga aus. Neun Niederlagen setzte es bislang in neun Partien, sechs Tore hat man lediglich erzielt, dafür aber immerhin satte 100 Gegentore kassiert. In Punkten macht das: null.
Umso erstaunlicher, wie präsent der kleine Berliner Club in der Hauptstadt ist. Eine Reihe von Ladenlokalen hat der Verein angemietet, und wer einen Spaziergang durch die Altbauquartiere im Stadtteil Wedding macht, kann leicht den Eindruck bekommen, bei Fenerbahce Berlin handle es sich um einen Großverein, denn oft sind die „Clubräume“, wie die Betreiber ihre Versammlungsstätten nennen, nur wenige hundert Meter voneinander entfernt.
Wer das obligatorische Schild „Eintritt nur für Mitglieder“ missachtet und dennoch die Tür öffnet, inhaliert die nikotingeschwängerte Luft türkischer Männercafés. An den vergilbten Wänden hängen Fahnen und Wimpel der drei großen Istanbuler Fußballclubs, denn bei Fenerbahce Berlin sind auch die Fans von Galatasaray und Besiktas willkommen. Früher sei das kein Problem gewesen, sagt ein bekennender Fener-Anhänger, „da waren wir der populärste Verein“; seit jedoch Galatasaray im vergangenen Jahr den Uefa-Cup in die Türkei geholt hat, gebe es immer mehr Fans der Gelb-Roten. Ganz so recht scheint ihm das nicht zu sein, man sieht es seinem Gesicht an.
Zwei Stunden vor dem Anpfiff wird zwar schon über Fußball geredet, aber außer dem überdimensionalen Fernsehgerät, das den spärlich eingerichteten Raum dominiert, deutet noch nichts auf einen stimmungsvollen Fußballabend hin. Männer, die auch dann zu qualmen scheinen, wenn sie gerade einmal keine Zigarette rauchen, sitzen um große, runde Tische, spielen Karten und nippen ab und zu an einem Glas Tee. Ein paar hundert Meter weiter, im nächsten Fenerbahce-Club, ist die Stimmung etwas besser, lockerer auf jeden Fall. Der lange Gastraum ist auch hier so verräuchert, dass man vom Eingang aus kaum ans Ende des Raumes sehen kann. Poster eines zähnefletschenden Kampfhundes schaffen eine ganz eigene Atmosphäre, man trinkt Cola statt Tee, schließlich ist das Publikum jünger.
„Ja“, sagt ein verwegen aussehender Mann mit Glatze und allerhand Goldschmuck um den Hals, der von den anderen Chef genannt wird, „heute wird viel los sein“.
Er passt auf, der Chef, der sich bei den Karten klopfenden Honoratioren Geschäftsführer nennt. Seine Aufgabe ist es, Mitgliedsbeiträge für Fenerbahce Berlin einzutreiben. Der Verein zahlt dann die Miete für den Laden, der völlig autonom geführt wird. Für weitere Erklärungen zu den Geschäftsgepflogenheiten ist jetzt nicht mehr viel Zeit, im Fernsehen werden bereits die Mannschaftsaufstellungen eingeblendet. Dicht gedrängt sitzen nun die Männer und warten auf den Anpfiff. „Mann, sind die gut“, sagt einer, als die Spielernamen der Leverkusener Mannschaft verlesen werden, „und wir haben nur einen Guten“. Er meint Rüstü, den Torwart.
Es gibt ihn also noch, den Respekt vor dem deutschen Fußball. Ausgerechnet in einem verrauchten Clubraum von Fenerbahce Berlin. Von der Ramelow-Debatte haben die meisten hier noch nichts gehört. „Wir wären froh, wenn wir den hätten“, sagt einer. Die anderen nicken mit dem Kopf.
Schon nach 15 Minuten ist den meisten klar, dass es wohl nichts werden wird mit den ersten Punkten in der Champions League für ihren Klub, zu harmlos treten die Istanbuler auf. Stühle werden gerückt, und eine erste Runde beginnt wieder Karten zu spielen. Nach dem Sonntagsschuss von Bernd Schneider, der Bayer in der 22. Minute die Führung beschert, lachen selbst die eingefleischtesten Fener-Anhänger. Es wirkt wie das Lachen eines Kindes, das sich, nachdem es gestürzt ist, nicht recht zum Weinen entschließen kann und den Erwachsenen mit breitem Grinsen anzeigt, dass alles nicht so schlimm war.
Derweil spielt Leverkusen den Gegner immer noch nach Belieben an die Wand. Als Ulf Kirsten das 2:0 erzielt, klatschen alle im Klubraum. Dass es sich bei den meisten Gästen wirklich um türkische Fußballfans handelt, wird erst beim Anschlusstreffer durch Oktay kurz vor der Pause deutlich. Endlich ist es richtig laut, und sogar die Kartenspieler interessieren sich plötzlich wieder für Fußball – und schauen sich die Zeitlupe an.
Nach der Pause wirken die Männer im Club wie Zuschauer einer Comedy-Veranstaltung. Über jede vergebene Torchance der Leverkusener wird gelacht wie über eine gelungene Pointe. Doch so sehr sie auch lachen: Es bleibt beim 2:1 für Bayer, und am Ende sind alle froh, dass es nicht noch schlimmer gekommen ist. „Vor zwei Wochen haben wir 22:0 verloren“, sagt einer, es geht nun wieder um die Berliner Bezirksligamannschaft. Sie sind es eben gewohnt zu leiden, die Fenerbahce-Fans in Berlin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen