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„Das war die Vertrauensfrage“

Wieder einmal stellt der Außenminister die grünen Kriegsgegner vor die Alternative zwischen einem Ja zum Kriegseinsatz und dem politischen Abgrund

von PATRIK SCHWARZ

Vielleicht ist Gerald Häfner ja ein gutes Beispiel. „Ich bin nicht jemand, der dauernd mit interner Kritik vor Kameras tritt“, sagt der grüne Bundestagsabgeordnete aus Bayern. Auch jetzt steht Häfner nicht gerade vor einem Kamerapulk, aber eben doch in einer Nische der Lobby vor dem Plenarsaal und tut, was er bisher oft unterlassen hat: Er redet mit Journalisten. „Jetzt geht es nicht mehr anders“, sagt er, wie zur Entschuldigung.

Die Idee vom Krieg gegen den Terror treibt den 45-Jährigen um, obwohl er weder naiv noch geltungssüchtig ist, wie den Skeptikern auch im eigenen Lager gerne unterstellt wird. An einem deutschen Afghanistan-Einsatz sorgt ihn die fehlende Perspektive: „Mir ist die Strategie schlicht zu undeutlich.“ Häfner, der 1987 zum ersten Mal in den Bundestag einzog und jahrelang Vorsitzender des mehrheitlich realpolitischen Landesverbandes in Bayern war, ist einer von vielen eher zahmen Abgeordneten, die sich unvermutet im falschen Lager wiederfinden: In der Regierungspartei, deren Minister auch zum Kriegführen bereit sind, sind sie plötzlich Dissidenten. Auf 18 bis 22 wird die aktuelle Zahl der Skeptiker selbst von der Fraktionsspitze geschätzt. 47 Mitglieder zählt die grüne Bundestagsfraktion insgesamt.

Was passiert, wenn die eine Hälfte der grünen Abgeordneten auf die andere trifft, war auf der Fraktionssitzung am Mittwochabend zu beobachten: Es knallte. Antje Vollmer argumentierte, dass die Grünen nur überleben könnten, wenn sie bei der Afghanistan-Abstimmung nächste Woche nicht als Partei der Jasager dastünden. Der Zweifel am Sinn des Einsatzes müsse sich auch in einer erheblichen Zahl von Neinstimmen widerspiegeln. Als sie dann, so berichten Teilnehmer, Vorbehalte gegen Kanzler Gerhard Schröder gelten machte, hielt es Joschka Fischer nicht mehr auf dem Stuhl.

Nach Erzählungen von Mitarbeitern war der Außenminister schon kurz vor dem Aufbruch nach Hause, meldete sich dann aber für eine förmliche Erklärung zu Wort. Heftig hat er angeredet gegen die Bedenken seiner Kollegen, hat gefordert, aus den Erfahrungen der Balkankriege zu lernen und ist den Kosovo-Gegner Hans-Christian Ströbele direkt angegangen: „Wenn wir dir gefolgt wären, säße Milošević heute noch in Belgrad und würde seines blutigen Amtes walten.“ Als Außenminister der Bundesrepublik werde er jedenfalls keine Entscheidung mittragen, die er für fatal halte. „Ich klebe nicht an diesem Sessel, ich gehe auch nicht zu einer anderen Partei. Aber das war’s dann.“ Die Sitzung wurde abgebrochen, am Freitag soll es weitergehen.

Die Vertrauensfrage war das, werden Fischers Helfer anschließend verbreiten. Der Kriegsgegner Winfried Hermann vermutet dahinter einen alten Fischer-Kniff: Er lasse seine Logik stets dadurch zwingend erscheinen, dass er als Alternative nur den Abgrund nenne.

Das Wort von der Vertrauensfrage wird an diesem Donnerstag freilich auch mit Blick auf die Abstimmung in der kommenden Woche gebraucht. Ist es um die Koalition geschehen, wenn Rot-Grün die eigene Mehrheit verpasst und den Einsatz wie im Fall von Mazedonien nur dank der Opposition von Union und FDP beschließen kann? Kanzler Schröder hütet sich bisher, die Abstimmung zur Vertrauensfrage zu erklären. Wilhelm Schmidt, SPD-Fraktionsgeschäftsführer, weiß, warum. Er rechnet mit einer beträchtlichen Zahl von Kriegsgegnern in den eigenen Reihen. 12 oder 13 könnten es sein – aber auch die doppelte Zahl.

Für Gerald Häfner steht bei der Abstimmung vielleicht sein Vertrauen in die Weisheit der grünen Führung auf dem Spiel. Er hat Zweifel, aber er bangt auch um die Koalition. Noch hat er sich nicht entschieden. „Wir sind die, die die Entscheidung treffen müssen“, sagt der Parlamentarier nur, „und wir tragen hinterher die Verantwortung.“

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