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Diskret indiskret

Klatsch ist ambivalent: machtuntergrabend und systemerhaltend, lustvoll und moralinsauer. Und wir alle brauchen ihn – ob Mann, ob Frau

von UTE SCHEUB

Klatsch – das ist das abfällige oder süffisante Reden über Intimitäten Dritter, die abwesend sind und sich deshalb nicht wehren können. Das Wort entstand in bäuerlichen Zeiten, als die Waschweiber schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit wuschen und die Intimsphäre Fremder durch die Mangel drehten. Klatsch!, sausten ihre Waschhölzer auf das ausgebreitete Bettzeug, um den Schmutz herauszupressen. Klatsch!, bekamen alle diejenigen was zu hören, deren Flecken in den Laken Anlass zu Spekulationen über sündhaften Lebenswandel gaben. Klatsch!, schlugen die Weiber ihre Röcke hoch und zeigten ihre entblößte Vulva, wenn ein Mann sich ungefragt diesem exklusiven Frauenzirkel nähern wollte.

Birgit Althans’ Dissertation „Der Klatsch, die Frauen und das Sprechen bei der Arbeit“ lädt zu einer Expedition durch die Geschichte des Klatschens ein, die zugleich auch eine Geschichte der Arbeit ist. Das Tratschen, so ist dem Buch der Berliner Erziehungswissenschaftlerin zu entnehmen, entstand als lustvolle Kompensation für besonders monotone Arbeiten, die vor allem dem weiblichen Geschlecht zugemutet wurden und werden. Wäschewaschen, Flachshecheln, Sockenstopfen oder ermüdende Fließbandarbeiten. Wo ausführlich geratscht werden darf, geht die Arbeit leichter von der Hand.

Die Erfindung des Klatsches durch die Waschweiber machte es der Männerwelt leicht, diesen als weibliche Angelegenheit abzutun. „Klatschdosen“, „Klatschlöcher“, „Plaudertaschen“ – in abwertender Absicht wurden Frauen dabei mit Löchern und Behältnissen gleichgesetzt, also mit ihrem Geschlechtsorgan. Natürlich klatschen auch Männer gern, sie nennen es nur nicht so. Althans weist nach, zu welchen Tricks die bürgerliche Männerwelt griff, um ihre Sprechakte aus dem Verdacht des Klatsches und der Irrationalität herauszuhalten. Entstand bei den Frauen der Klatsch aus der Arbeit, so schafften es die Männer, ihre Kommunikation als Arbeit auszugeben.

Ausgerechnet der Kaffeeklatsch war ursprünglich eine rein männliche Angelegenheit. Nachdem ein Kolonialhändler den ersten Kaffee nach London gebracht hatte, schossen dort zwischen 1670 und 1740 rund zweitausend Kaffeehäuser aus dem Boden. Am frühen Abend suchten die Männer die Cafés auf, um dort Geschäfte, Politisches und natürlich auch den neuesten Klatsch und Tratsch zu besprechen. „Der gleichzeitige Ausschluss von Alkohol und von Frauen garantierte die Konzentration auf das Wesentliche, auf Sachthemen, und schien von vornherein etwaigen Überschreitungen einen Riegel vorzuschieben“, schreibt Birgit Althans. Jeder Beruf und jede Partei hatte ein eigenes Lieblingscafé. Aus den Neuigkeiten über Schiffe und Handelsgüter etwa, die im Kaffeehaus von Edward Lloyd erzählt wurden, entstand zuerst die Zeitung Lloyd News und später die Seeversicherung Lloyds of London.

Die bürgerliche Öffentlichkeit entstand also auch aus den Kreisen kaffeeklatschender Männer, und Althans hat fein säuberlich herausgearbeitet, welch zentrale Rolle der Begriff des Credit dabei spielte. Das englische Wort ist doppeldeutig, „a man of credit“ ist ein moralisch glaubwürdiger Mann, der nur auf Grund dieser Eigenschaft Geldkredite erhalten kann. Der Verlust des credit hatte damals für einen Kaufmann ebenso schlimme Folgen wie der Verlust der Jungfräulichkeit für eine Frau. Der Geschäftsmann Daniel Defoe, später als Autor von „Robinson Crusoe“ berühmt geworden, erfand deshalb in seinen ökonomischen Schriften die Figur der kapriziösen Lady Credit, die sich je nach ökonomischer Lage der Dinge mal jedem hingibt, mal allen verweigert.

So weit, so unterhaltsam und lehrreich. Schade nur, dass die Autorin eine so glühende Anhängerin des Psychoanalytikers Jacques Lacan ist und ihre weiteren Ausführungen auf fragwürdigen Behauptungen ihres Lehrmeisters aufbaut. Klatsch, so übernimmt sie kritiklos ein Lacan’sches Wort, sei eine Form des „weiblichen Genießens“, das sinn- und zweckfrei sei. Damit aber verwirft sie ihre eigene Definition von Klatsch – das abwertende Reden über intime Angelegenheiten Abwesender – und setzt ihn mit beliebigem Geplauder über beliebige Themen gleich. Lustvoll zweckfrei ist aber nicht einmal das Schwatzen über alle möglichen Nebenaspekte des Lebens, denn es stärkt Bindungen und Gefühle. Im Klatsch werden Herrschaftsbeziehungen verhandelt – zwischen Mann und Frau, zwischen Herrscher und Untertan, zwischen Boss und Untergebenen.

Klatsch ist subversiv und systemerhaltend, ist schmuddelig und moralinsauer, schafft Bindungen und zerstört sie. Klatsch ist eine wunderbare Allzweckwaffe. Natürlich ist er unmoralisch, auch wenn er manchmal im Namen der Moral und „dessen, was sich gehört“ daherkommt, denn diejenigen, über die man sich das Maul zerfetzt, können sich nicht wehren. Dennoch: Wir alle verbreiten ihn, wir alle horchen auf ihn, am meisten diejenigen, die sich am lautesten über ihn empören. Frei nach Erich Mielke formuliert: Wir lieben ihn doch alle. Das stimmt nicht? Sie sind an Klatsch nicht interessiert? Warum lesen Sie dann diesen Artikel?

Klatsch ist destruktiv: Ja, natürlich. Babs Becker dürfte vor Wut in die Kissen gebissen haben, als sie der Klatsch von Boris’ hastig in einer Besenkammer gezeugter unehelicher Tochter ereilte.

Klatsch ist konstruktiv: Das ist schon weniger bekannt, aber genauso wichtig. In der bindungslosen Welt des Internet strengen sich die Menschen vielleicht am meisten an, Verbindungen einzugehen. Chatrooms, News Groups und Klatschhomepages erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit.

Aber auch die althergebrachte Form des Klatsches über den Gartenzaun oder vorm Betriebstor schafft und stärkt soziale Beziehungen. Das Mittel dafür ist die diskrete Indiskretion: Ich weihe dich in mein Geheimnis ein, also bist du mein Freund oder meine Freundin und schuldest mir Loyalität. So machen sich Menschen gegenüber hierarchisch Gleichgestellten wichtig und schaffen sich Bündnispartner.

Nichts brauchen wir Menschen mehr als die Beachtung unserer Mitmenschen. Ohne die Aufmerksamkeit anderer verkämen wir als Baby zum sprachlosen Wolfskind und als Erwachsene zum A-sozialen im ursprünglichen Sinne des Wortes. Erst der Austausch von Sprache und Blicken gibt uns Selbstbewusstsein und das Gefühl eigener Wichtigkeit. „Die Unterhaltung über Dritte ist eine gängige, vielleicht sogar die verbreitetste Form des Austauschs von Aufmerksamkeit“, schreibt der Wiener Professor Georg Franck in seinem Buch „Die Ökonomie der Aufmerksamkeit“. Es gehe nicht nur um den Gesprächsinhalt, sondern auch darum, „die Aufmerksamkeit des Gesprächspartners für die eigene Person einzunehmen“.

Klatsch zerstört Macht: Keine Gewerkschaftsbewegung, kein internationales Bündnis hat den ehemals mächtigsten Mann der Welt, den US-Präsidenten Bill Clinton, so schwächen können wie die kleine Praktikantin Monica Lewinsky. Weil Klatsch darauf abzielt, den einen zu erniedrigen, hebt er die anderen. Insoweit ist er revolutionär. Seht nur, der Chef ist ein Schwein, der Kaiser ist nackt! Der Präsident: ein mickriger Mann mit kleinen Begierden, so anfällig wie wir alle. Klatsch erhält Macht: Niemand hat Bill Clinton in diesem verrückten Spiel mehr gestärkt als der Oberklatscher, Chefankläger Starr, auch „Porno-Starr“ genannt. Wenn der Chef so ist wie wir alle, dann sind wir umgekehrt ja auch alle wie Chefs, ganz ohne Umsturz und Revolution. Wir teilen seine Geheimnisse, also teilen wir – scheinbar! – auch seine Macht. Wir konnten unseren Ärger ablassen, aber jetzt drücken wir ein Auge zu, sind gnädig und haben von nun an einen Chef von unseren Gnaden.

Ganz ähnlich funktioniert der Prominentenklatsch. Wenn jemand in aller Munde ist, sagt Franck, dann steige sein Marktwert in den Medien, sein Prestige rentiere sich, die Preise für seine Auftritte würden in die Höhe getrieben. Doch warum spielt das Publikum bei diesem Spielchen mit, da es doch nur Aufmerksamkeit vergibt und nicht erhält? Hier kommt die klassische Übertragung ins Spiel. Wenn mir schon klar ist, dass ich nur wenig Aufmerksamkeit auf mich ziehen kann, dann suche ich mir dafür eine Ersatzperson: „mein“ Vor-Bild, das an meiner Stelle die ersehnte Aufmerksamkeit akkumuliert. Von dem Glanz, den diese Blitzlichtgestalten abgeben, regnen auch auf uns ein paar Funken herab. Nun teilen wir ihre Geheimnisse, und damit können wir uns einbilden, zu den exklusivsten Zirkeln zu gehören, fast schon so zu sein wie sie. Ich – Hillary Ute Scheub.

UTE SCHEUB, 43, lebt als freie Autorin in BerlinLiteratur: Birgit Althans: „Der Klatsch, die Frauen und das Reden bei der Arbeit“. Campus, Frankfurt/Main 2001, 475 Seiten, 78 Mark. Georg Franck: Die Ökonomie der Aufmerksamkeit, Hanser, München 1998, 251 Seiten, 35,97 Mark

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