: Einigung fünf vor elf
Claudia Roth und Fritz Kuhn stritten stundenlang über die Vorlage für den grünen Parteirat
von PATRIK SCHWARZ
„Ich weiß nicht, ob wir bis nachher eine Lösung gefunden haben werden“, sagt eine sorgenvolle Bärbel Höhn, die nordrhein-westfälische Umweltministerin, ehe sie im Haus der grünen Bundeszentrale in Berlin verschwindet. „Alles gut ausgegangen!“, ruft eine strahlende Andrea Fischer, als sie drei Stunden später vor die Tür tritt. Dem Beschluss des Parteirats konnten sowohl die Kosovokriegsgegnerin Höhn als auch die einstige Bundesministerin Fischer zustimmen. Doch selbst in grünen Führungsetagen blickt man mit Bangen auf die Frage, wie der Parteitag in knapp zwei Wochen urteilen wird: ein Kompromiss, wie die grüne Basis schon viele geschluckt hat, oder der gar zu dünne Versuch, einen falschen Krieg zu bemänteln?
Selten war ein Konflikt der grünen Partei so sehr auch ein Konflikt der beiden Vorsitzenden: Selbst nach zwei Tagen der Telefonate und Sitzungen rangen Claudia Roth und Fritz Kuhn noch am Montagvormittag miteinander. „Die Einigung kam um fünf vor elf“, sagt ein Insider, und also nur Minuten ehe der Vorstand dem Parteirat einen Entwurf zu präsentieren hatte. Sollen die Grünen einer deutschen Beteiligung an den US-Militäroperationen in Afghanistan zustimmen? Die langjährige Linke Roth und der ausgewiesene Pragmatiker Kuhn lagen da offenbar weiter auseinander als bei jeder anderen Frage ihrer gut halbjährigen gemeinsamen Amtszeit. Kuhn habe für ein „Ja, aber“ plädiert, heißt es in Vorstandskreisen, Roth für ein „Nein, solange nicht“. Am Ende wurde daraus ein „Ja, aber nur wenn“.
Vier Bedingungen an einen deutschen Kriegseinsatz enthält der Antrag jetzt. „Wir empfehlen den Abgeordneten eine Zustimmung unter der Voraussetzung, dass diese Präzisierungen und Erklärungen umgesetzt werden“, sagt Kuhn bei der Pressekonferenz. Darüber müsse jetzt zwischen den Bundestagsfraktionen und mit Kanzler Gerhard Schröder geredet werden. Lehne die Bundesregierung die Wünsche der Grünen ab, „ist die Zustimmungsempfehlung nicht gegeben“, wie Kuhn formuliert. Damit ist kaum zu rechnen – und auch Kuhn tut es wohl nicht. Alle Bedingungen der Grünen betreffen Einschränkungen des Bundeswehreinsatzes, die die Bundesregierung in ihrem Antrag oder in öffentlichen Äußerungen ohnehin bereits zugestanden hat. Es müsse klargestellt werden, heißt es in dem grünen Papier, „dass die deutschen Einheiten ausschließlich gegen al-Qaida und deren Unterstützer eingesetzt werden“. Außerdem sei „das Einsatzgebiet der deutschen Einheiten genauer“ zu fassen. Ein Einsatz im Irak, der von vielen Grünen befürchtet wurde, ist aber bereits im Antrag der Bundesregierung de facto ausgeschlossen, wo für Einsätze außerhalb Afghanistans die Zustimmung der örtlichen Regierung verlangt wird. Der grüne Antrag weist auf diesen Punkt noch mal hin und fordert darüber hinaus, deutsche Soldaten dürften auch nicht ohne vorherige Parlamentsbefassung in Länder entsandt werden, „in denen es keine Regierung gibt“. Die beiden letzten Punkte betreffen die Zustimmungsrechte des Bundestages. Ohne Parlamentsbefassung dürfe nicht die Zusammensetzung der Streitkräfte erhöht werden, heißt es. Außerdem solle der Bundestag „jederzeit umfassend“ informiert werden. Eine entsprechende Zusage hatte der Außenminister Joschka Fischer schon vergangenen Freitag gemacht.
Kuhns demonstrative Zuversicht, die SPD werde den Änderungen zustimmen, gründet womöglich auf einem Telefonat mit dem Bundeskanzler vom Freitag. Es liegt die Vermutung nahe, dass Schröder darin bereits den Spielraum seiner Verhandlungsbereitschaft umrissen hat.
Für die Grünen „stellt sich diese Entscheidung als die schwierigste dar, vor der unsere Partei jemals stand“, sagt Roth auf der Pressekonferenz. Ihre Forderung nach einer Bombenpause während des Ramadan taucht im Antrag als Empfehlung auf, eine Bedingung ist es nicht. Verzichtet haben die Grünen in ihrem Beschluss auf die Forderung nach einer Begrenzung des Bundeswehrauftrags von 12 auf sechs Monate, wie sie auch die Union gefordert hatte. Die Exvorsitzende Gunda Röstel fragte mit Blick auf den Bundestagswahlkampf 2002: „Wollen wir uns das alles im Frühjahr noch mal aufladen?“
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