: Original wird Fälschung
Die Wirklichkeit des Sichtbaren, das Sichtbare der Wirklichkeit und die zwei unterschiedlichen Seiten der Produktion: Die Ausstellung „Profiler“ im Künstlerhaus Bethanien und das Projekt „Auf offener Straße“ im Kunstamt Kreuzberg
So ist das mit Köpfen und Füßen. Die einen lesen Hegel, die anderen mögen Marx. Die einen erfinden und fälschen, die anderen suchen und finden. Die einen plündern die Kunstgeschichte, die anderen klappern ihr Wohnviertel ab. Mal geht es um die Wirklichkeit des Sichtbaren, mal um das Sichtbare der Wirklichkeit. Das sind die zwei Seiten der Produktion: Oben im Studio II des Künstlerhauses Bethanien haben Astrid Mania und Peter Robinson die Ausstellung „Profiler“ kuratiert, bei der Künstler ihr visuelles Material mit feinsinnigen Geschichten aufladen; und unten im Kunstamt Kreuzberg haben Ingeborg Lockemann und Stephane Bauer zwei Dutzend Künstler zum Projekt „Auf offener Straße“ eingeladen, bei dem die soziale Topografie Kreuzbergs in einen Bilderpark übertragen wird.
Tatsächlich ist die Überzeugunskraft von „Profiler“ groß. Der Neuseeländer Mike Stevenson hat für seine Installation den Mordprozess gegen den Minimal-Art-Künstler Carl André noch einmal aufgerollt. André war 1985 angeklagt worden, seine Frau aus dem Fenster gestoßen zu haben, wurde aber freigesprochen. Aus Gerichtszeichnungen der geladenen Zeugen und Sachverständigen setzt sich ein skurilles Setting zusammen, bei dem unklar bleibt, welche Funktion die jeweiligen Personen bei der Ermittlung der Wahrheit hatten. Mit dem konkreten Todesfall entsteht bei Stevenson eine Porträtreihe aus Sammlern, Galeristen und befreundeten Künstlern Andrés – ein Gruppenbild um eine Leiche, fast wie in Alfred Hitchcocks Fifties-Klassiker „Immer Ärger mit Harry“.
Bei anderen Arbeiten ist die Rekonstruktion der Ereignisse weit aufwendiger. Edgar Arceneaux hat ein vollständiges Labor aufgebaut, in dem man nun nachvollziehen kann, was er isst, trinkt und an Musik hört, wenn er die Wege seiner Familie vom Eigenheim bis zum Friedhof aufzeichnet. Gut zu wissen, dass Arceneaux Bücher über „Complexity – at the Edge of Order and Chaos“ liest, denn alle Spuren, die er auslegt, versanden im Ungefähren. Noch verschlungener sind die Pfade des Wirklichen bei (e.) Twin Gabriel, die per Computerprogramm Namen imaginärer Personen gesampelt haben. Die virtuellen Bürger wurden dann auf Transparenten an einem Gebäude in Dessau öffentlich ausgehängt: als Parodie auf die Helden der Arbeit in der DDR?
Dass sich Geschichte ganz anders hätte ereignen können, zeigt auch Raphael Danke mit seiner „Venus von Adlershof“. In einer Vitrine wird das scheinbar vorzeitliche Objekt ausgestellt, zugleich belegt eine Reihe mit Fotografien, wie Danke einen ursprünglich phallischen Fetisch durch mehrere Schichten aus Wachs zu einem Kultobjekt des Matriarchats umgeformt hat. Bei Maria Hedlund wird die Archäologie vollends in die Irre geführt: Ihr Schaukasten mit Flusen aus der Waschmaschine ist eine formlos aufgelöste T-Shirt-Masse. Besser kann man die Materialkunst der späten Sechzigerjahre kaum fälschen.
Wann aber sind die Bilder echt? Andreas Koch hat im Kunstamt ein vier mal sechs Meter großes Foto der Adalbertstraße aus fotokopierten Blättern montiert. Trotzdem wirkt die Kiez-Ikone seltsam fremd, beinahe menschenleer. Das Dokument des Faktischen schafft sich seine Wirklichkeit wie von selbst und ist doch auf das Leben angewiesen, das den Ort definiert. Alltag aber ist gar nicht das Thema, mit dem sich die Ausstellung „Auf offener Straße“ beschäftigt. Eher schon Simulation: Ronald Eckelt etwa hat die Bewohner eines Hauses in Neukölln gebeten, ihre Wohnung nach den neusten Erkenntnissen des Feng Shui zu lüften. Auf den dazugehörigen Fotos sieht man aber nur Windräder, die sich auf den Balkons beim Durchzug drehen.
Selbst der Ausnahmezustand in New York wird noch einmal mobilisiert. Das Video von p.t.t. red präsentiert die Zeitlupenaufnahme eines Vogels, der am World Trade Center vorbeifliegt, während das Flugzeug einschlägt. Die Ironie war CNN vermutlich gar nicht aufgefallen, im Kunstkontext wird „Terra Nullus“ dagegen ein zynisches Statement zum Mediengeschäft.
Überhaupt ist der Grad zwischen Chronik und Kritik schmal: Elke Marhöfer collagiert aus den Kämpfen in Genua und Berliner 1.-Mai-Demos ein Ambiente des politischen Widerstands, Michaela Schweiger überträgt die Disneyfizierung der Städte in Science-Fiction-Zeichnungen, bei Roswitha von den Driesch und Jens-Uwe Dyffort wird der Grundriss einer Wohnung zum Überwachungsszenario für die Game-Boy-Generation. Sehr viel subtiler ist die urbane Feldforschung, die Christian Hasucha betreibt: „TRASBA“ besteht aus einer zerlegbaren Parkbank, die man als Schultergepäck mit sich führen kann. Ein Video erklärt, wie sich der Prototyp je nach Standort im öffentlichen Raum aufstellen lässt. Damit wird auch die Grenze zwischen Besetzen und Besitzen hinfällig. Das ist kein schlechter Ausgangspunkt für das Leben auf offener Straße. HARALD FRICKE
„Profiler“, bis 18. 11., Mi–So 14–19 Uhr; „Auf offener Straße“, bis 16. 12., Di–So 14–19 Uhr, Mariannenplatz 2
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