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Wenn der Babysitter nicht klingelt

Praktische Hilfe oder Abschiebe-Bahnhof? Zwei Kinderhotels bieten Notfallbetreuung, wenn die Kleinen allein zu Hause bleiben müssten. Das eine für Alleinerziehende mit schmalem Geldbeutel, das andere für gut situierte Doppelverdiener

Der Back-up-Service will Unternehmen teure Fehlzeiten der Angestellten ersparen

von BETTINA FICHTNER

Kinder bedeuten Chaos. Spätestens seit dem Hollywood-Streifen „Tage wie dieser“, in dem Michelle Pfeiffer und George Clooney als Alleinerziehende mit Kind und Karriere ringen, weiß das jeder. Wie Pfeiffer und Clooney höchst amüsant demonstrieren, reicht es nämlich nicht aus, ein Organisationstalent zu sein, weil einem nämlich immer ausgerechnet dann etwas dazwischen kommt, wenn der Babysitter verreist und die Großmutter in Elizabeth Ardens Schönheitssalon unabkömmlich ist. Im Film ist die letzte Rettung der verzweifelten Eltern das Kinder-Center, in das die Kleinen unter lautem Protest abgeschoben werden. Auch im echten Leben sind solche Kinderhotels oft die letzte Chance für berufstätige Eltern. Wenngleich die Umstände in der Realität sehr oft ganz andere sind.

Sigrid Lexow, Koordinatorin der Kinderpension „Kleine Vagabunden“, weiß davon ein Lied zu singen. Ihre Einrichtung bietet flexible Kinderbetreuung außerhalb der regulären Kita-Öffnungszeiten – anders als im Film jedoch „in der Hauptsache für sozial schwache Frauen und Schichtarbeiterinnen“. Denen ginge es nicht ums Abschieben der lästigen Kleinen zugunsten der Karriere, sondern um die knallharte Alternative zwischen gesicherter Kinderbetreuung und Arbeitsplatzverlust. Das Frauenzentrum Frieda, das die Einrichtung seit knapp einem Jahr betreibt, will besonders bei der Wiedereingliederung ins Berufsleben „ganz praktisch“ Hilfe leisten.

Bei den „Kleinen Vagabunden“ betreuen fünf pädagogisch ausgebildete Mitarbeiterinnen schichtweise rund um die Uhr die 2- bis 12-Jährigen, maximal aber nur acht Kinder. Bald soll das Kinderhotel noch um eine Etage im Gebäude der ägyptischen Botschaft in Pankow erweitert werden und bietet dann Platz für bis zu 25 Kinder. Mit einer Auslastung von „mindestens 60 Prozent“, so Lexow, könnte sich die Kinderpension selbst tragen. Bisher subventionieren Senat und Arbeitsamt Personal und Miete. Diese Unterstützung sei enorm wichtig, betont Lexow: „Sonst könnten wir unsere Preise so gar nicht machen.“ Zwischen 40 und 50 Mark kosten ein Tag beziehungsweise eine Nacht, Sozialhilfeempfängerinnen und Arbeitslose bezahlen 17 Mark. „Das ist extrem günstig, in Zeiten, wo ein Babysitter mindestens 10 Mark die Stunde nimmt“, sagt Lexow und hofft, dass das Angebot nicht „von den Falschen“ ausgenutzt wird.

In der „Kinderinsel“ in Prenzlauer Berg, die mit ihrer „24-Stunden-Erlebniswelt“ ein ähnliches Betreuungskonzept anbietet, dominiert eine andere Klientel. Zu den Kunden gehörten hauptsächlich Geschäftsleute, Politiker und Ärzte, aber auch Stewardessen und Krankenschwestern. Sie alle verdienen „in der Regel über 5.000 Mark brutto“, sagt Anita Drews, die das Kinderhotel im März ins Leben gerufen hat. Für Preise zwischen 10 und 35 Mark pro Stunde bietet sie flexible Kinderbetreuung für Privatpersonen an. Neu im Programm ist ein Service speziell für Unternehmen, den Drews in Kooperation mit der Beratungsagentur Familienservice anbietet. Dieser Back-up-Service, zu deutsch „Notbetreuung“, will Firmenmitarbeitern aus der Klemme helfen, wenn die reguläre Kinderbetreuung durch Kita oder Tagesmutter plötzlich ausfällt. Die durch Job und Familie doppelt gestressten Mitarbeiter sollen entlastet und den Firmen teure Fehlzeiten der Erziehungsberechtigten erspart werden. Für die Unternehmen ist das auf den ersten Blick ein kostspieliges Angebot – Notfallbereitschaft an 50 Tagen für jeweils ein Kind kostet 5.500 Euro, an 300 Tagen im Jahr 24.000 Euro –, doch wenn man die Summe mit den Ersparnissen durch die geringeren Fehlzeiten verrechne, verdienten die Firmen unter dem Strich, so Gisela Erler, Geschäftsführerin des Familienservice.

Vier festangestellte und 40 freie Mitarbeiter bieten in der Kinderinsel Rund-um-die Uhr-Betreuung in 12 Sprachen. Nach dem Motto „Nicht erziehen, sondern anregen zum kreativen Selbermachen“, werden bis zu 20 Kinder in den farbenfrohen Räumen betreut. Im „Snoozleraum“, wo tagsüber gekuschelt und ausgeruht werden darf, werden abends kleine Bettchen für die bis zu 14 Übernachtungsgäste aufgestellt. Manchen gefalle es so gut, dass „beim Abholen schon mal Tränen fließen“, berichtet Drews nicht ohne Stolz. Auch hierin unterscheidet sich das echte Leben vom Film. Da machen die Gören so lange Terror, bis sie von Pfeiffer und Clooney wieder abgeholt werden.

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